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Ewigkeit im Augenblick
Gemeinsam mit dem Verlag Styria veranstaltete die FURCHE einen Wettbewerb für christliche Literatur. Mit der Verleihung der Roman-Preise fand er dieser Tage seinen Abschluß.
Gemeinsam mit dem Verlag Styria veranstaltete die FURCHE einen Wettbewerb für christliche Literatur. Mit der Verleihung der Roman-Preise fand er dieser Tage seinen Abschluß.
Am 20. Juni 1831, an einem Sonntag, unterhielten sich Goethe und Eckermann über den Unterschied zwischen der französischen und der deutschen Sprache. Goethe nannte die Sprache im allgemeinen „unvollkommen” und „unzulänglich” und sagte: „Wenn nun ein höherer Mensch über das geheime Wirken und Walten der Natur eine Ahnung und Einsicht gewinnt, so reicht seine ihm überlieferte Sprache nicht hin, um ein solches von menschlichen Dingen durchaus Fernliegende auszudrücken. Es müßte ihm die Sprache der Geister zu Gebote stehen, um seinen eigentümlichen Wahrnehmungen zu genügen.” Damit ist eine allen bekannte menschliche Erfahrung und zugleich das grundlegende Problem jeder Literatur formuliert. Sie liegt in der Begrenztheit unserer Mittel. Um bei Goethes Worten zu bleiben: Wir sind manches Mal in der Lage, „die Sprache der Geister” zu hören, doch steht uns dieselbe Sprache nicht zu Gebote.
Dem Versuch, ihr fernes Echo im Wortgefüge ertönen zu lassen, dieses sowohl sinngebend wie in der sinnlich erfaßbaren Dimension von Klang und Rhythmus bis an die äußerste Grenze der Denkbarkeit auszuweiten: Diesem Versuch entspringt der bleibende Teil der Literatur. Nicht Könnerschaft gibt ihr Dauer, sondern der Impuls, von der empfangenen Vision zu einer sprachlich darstellbaren, dem Ursprung möglichst entsprechenden neuen Vision zu gelangen... vom metaphysischen Erlebnis bezaubert und angetrieben an jene Grenze vorzustoßen, an der die Wirklichkeit durch Sprache zu transzendieren beginnt.
Wenn nun der Mensch, der sich zur literarischen Arbeit gedrängt fühlt, nichts anderes will, als die ihm zugängliche Wirklichkeit „in der Sprache der Geister” darzustellen, so muß nach den Ursachen gefragt werden. Sie liegen im weiten Grenzbereich zwischen Wahrnehmung und Ausdruck, zwischen Augenblick und Dauer, zwischen physischem Sein und metaphysischem Streben. An diesem Punkt wird die Analogie zwischen künstlerischer Arbeit und religiöser Disposition begreifbar.
Warum also das Bemühen, Wirklichkeit zu Sprache zu verdichten? Woher der Impuls? Aus der Ahnung, daß der Augenblick für unsere Wahrnehmung wohl vergänglich, aber in Wirklichkeit dauerhaft ist, Teil eines größeren Ganzen, das uns miteinbeschheßt und uns mit dem Vergangenen und Zukünftigen verbindet.
|_j ^ist eine der wesentlichen Lei-JE/3stungen der neueren Li-ratur, die vor allem naturwissenschaftlich fundierte Richtung eines ebenso handfesten wie geistlosen Naturalismus überwunden und für sich selbst die Zeitlosig-keit als ästhetisches Prinzip wiederentdeckt zu haben. Für viele Bestrebungen sei hier nur eine genannt, die Guillaume Apollinai-res, der die Poesie als den „heiteren Ausdruck des Geistes außerhalb der Zeit” definierte.
In diesem weiteren und wirklichen Sinne des Wortes ist jede Poesie, der es gelingt, „Ausdruck des Geistes außerhalb der Zeit” zu sein, religiöse Poesie. Sie macht die Sprache auch in die Richtung der Metaphysik grenzüberschreitend, ja, sie ist das elementarste und zugleich subtilste Mittel, von der bloßen Wahrnehmung zur tieferen Wahrnehmung — und das heißt: Sprachwerdung - des Geistes zu gelangen, im Augenblick die Dauer darzustellen und die Existenz zu transzendieren. So sind die wirklichen Schriftsteller die natürlichen Verbündeten der wirklichen Geistlichen, mit ihnen in dem Glauben vereint, der in der Erscheinungswelt das Zeitlose und Transzendente sucht. Von diesem Glauben an die göttliche Offenbarung ist das Christentum durchglüht.
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