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EWR ohne den Musterschüler Schweiz?

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Am 6. Dezember wird in der Schweiz über einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) abgestimmt. Letzte Umfragen lassen ein „Nein" möglich erscheinen.

Diese Abstimmung trifft das Land zu einem Zeitpunkt, zu dem es sich in einer schwierigen Phase befindet. So etwa entdeckt die Schweiz in diesem Herbst die Arbeitslosigkeit mit einer Quote von 3,5 Prozent im Oktober (nachdem diese in den Vorjahren kaum jemals viel mehr als ein Prozent ausmachte) und der Aussicht, daß sich diese Ziffer noch weiter erhöhen wird. Kein Wunder, daß unter solchen Umständen der Bevölkerung der EWR-Vertrag - und noch viel weniger ein EG-Beitritt - schwer als hoffnungsschwangere Perspektive verkauft werden kann, wenn in der EG derzeit mehr als neun Prozent Arbeits-1 losigkeit gang und gäbe sind.

In einer anfangs November einberufenen Konferenz der maßgeblichen Wirtschaftspolitiker wurde dieses Phänomen beraten. Dabei hielt man fest, daß der Anstieg der Arbeitslosigkeit nicht nur konjunkturelle, sondern auch strukturelle Gründe habe: Der Dienstleistungsbereich kann nicht mehr wie früher die in der Industrie freigesetzten Arbeitskräfte aufnehmen; Angebot und Nachfrage nach Arbeit passen hinsichtlich der Anforderungen an die Qualifikationen immer weniger zusammen.

Nach langen Jahren eines Musterschülerdaseins sah sich die Schweiz zuletzt auch seitens der OECD unter anderem bezüglich ihrer Wettbewerbspolitik einer deutlichen Kritik ausgesetzt. Eine viel zu nachgiebige Kartellpolitik habe zu einem sehr mangelhaften Wettbewerb im Inland geführt. Die Schweiz sei ein „durchkartelliertes" Land: Schon 1985 wurden mehr als 500 Kartelle gezählt, in 90 Prozent aller Industriebranchen wurden Kartelle festgestellt, die zum Teil mehr als 90 Prozent des jeweiligen Marktes kontrollierten. Niemand nimmt an, daß sich die Situation seither gebessert hat.

Ein EWR-Beitritt brächte wenig Verbesserung, weil rein binnenländische Vorgänge von diesen Verträgen nicht erfaßt werden. Selbst wenn dem so wäre, müßten zwei Herzen in eines Schweizers Brust schlagen: Soll er auf Preissenkungen durch den EWR hoffen oder um seinen geschützten Arbeitsplatz fürchten?

Merkwürdig schal blieben die Argumente der Befürworter: Neben allgemeinen Feststellungen, daß der Schweizer Wirtschaft der Zugang zu den europäischen Märkten offengehalten werden müsse, wurde verkündet, daß ein Nein zum EWR die Arbeitslosigkeit verdoppeln würde - womit aber, wie erwähnt, seitens der Bevölkerung im bejahenden Fall zumindest genauso gerechnet wird.

Kommt es tatsächlich zum Nein, so werden die EG-internen Fahrpläne davon auf den ersten Blick nicht beeinträchtigt: Der EWR tritt dann am 1. Jänner 1993 eben ohne die Schweiz in Kraft. Auf mittlere Sicht hätte ein solches Ergebnis aber schwerwiegende Konsequenzen hinsichtlich der mentalen Haltung der europäischen Bevölkerung gegenüber dem Einigungsprozeß.

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