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Exotisches dominierte

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Aurel von Milloss braucht Liebhabern des Balletts, der Oper oder des lyrischen Theaters jeder Art nicht vorgestellt zu werden. Allein am alljährlichen Florentiner Musikfest ist er seit 1939 ständig tätig gewesen und hat viele Arbeiten zeitgenössischer Komponisten, wie Bartök, Strawinsky, Dallapiccola, um nur einige zu nennen, auf die Bühne gebracht. Er hat solchen Werken auch auf vielen westlichen Bühnen zum Leben verholten, genauso wie er unzähligen begabten modernen italienischen Malern zum Bekanntmachen ihres Strebens verhalt.

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Aurel von Milloss braucht Liebhabern des Balletts, der Oper oder des lyrischen Theaters jeder Art nicht vorgestellt zu werden. Allein am alljährlichen Florentiner Musikfest ist er seit 1939 ständig tätig gewesen und hat viele Arbeiten zeitgenössischer Komponisten, wie Bartök, Strawinsky, Dallapiccola, um nur einige zu nennen, auf die Bühne gebracht. Er hat solchen Werken auch auf vielen westlichen Bühnen zum Leben verholten, genauso wie er unzähligen begabten modernen italienischen Malern zum Bekanntmachen ihres Strebens verhalt.

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Doch scheint es weniger bekannt zu sein, daß Milloss auch als Ballettdirektor, als Lehrer und inspirierender Erzieher geschätzt werden muß. Einer, über dessen ständige Mitarbeiterschaft jedes Theater und jede Opembühne glücklich sein müßte. Er hat diese Jahre hindurch unermüdlich mit unreifen Ballettgruppen gearbeitet und mit ihrer Erziehung geradezu Wunder gewirkt. Keine Arbeit schien ihm für sich, wie auch für die ihm anvertrauten Ensembles zu mühsam, er sparte keine Arbeitskraft, am wenigsten die eigene. Aber das Resultat dieses Florentiner Maifestes — das seit langem den Namen des „Maggio Mu- sicale“ trägt (obgleich es stark in den Monat Juni hineinreicht!), erweist sich, um nicht mehr zu sagen, als höchst eindrucksvoll.

Auf dem diesjährigen Programm figurierte „TANZ“ groß geschrieben, es gab einen durchweg dem Ballett gewidmeten Abend, einen anderen, an welchem der Choreograph auch als Regisseur der beinahe unbekannten Oper „Padmavati“ von Albert Roussel tätig war, und am Schluß des Abends eine Milloss- Version von Rimski-Korsakows „Sheherezade“. Selbstverständlich gab er sich die größte Mühe, und es gelang ihm auch, sich nicht zu oft zu wiederholen und sein Publikum nicht mit zuviel „Chinoiserien“ und orientalischen Manierismen zu belasten. Das Thema des Festivals wurde von dem künstlerischen Leiter des ganzen Unternehmens, dem Komposten und Musikologen Roman Vlad, als „Westliche Musik und deren Einfluß auf außereuropäische Kulturen“ betitelt, kurz gesagt, auf solche der „Dritten Welt“.

Milloss griff das Problem der Choreographie von Milhauds „Die Schöpfung der Welt“, von Proko- fieffs „Der verlorene Sohn“, Stra- winskys „Lied der Nachtigall“ und der Uraufführung von Busonis „Indianischer Phantasie“ tapfer an. Daß der Erfolg dieser vier Werke, stilvoll und geschmackvoll dargestellt, doch nicht ganz den gehegten Erfolgserwartungen entsprach, muß einer anscheinend unverständigen Oberleitung des Unternehmens zugeschrieben werden. Es war der Choreograph weder mit hervorragenden Tänzern noch mit genügenden Orchesterproben noch mit einer für Unternehmungen solcher Art unbedingt erforderlichen großen Bühne versehen worden.

Milhauds „Schöpfung“ kann tref fend eine Mischung ritueller Feiern, dem Mythos aller Schöpfung, mit dem Negerenthusiasmus der Pariser zwanziger Jahre genannt werden („Nėgritude“): Mit Giovanni Papi und Flavio Benati als vorzügliche wichtigste Tänzer sowie mit der farbenfrohen Szenerie von Emanuele Luzzatti. Prokofieffs „Prodigal Son“ erfreute sich der Führung Giancarlo Vantaggios in der Titelrolle, einem der wenigen Tänzer, die den Ansprüchen des Choreographen genügen können. Strawinskys „Nachtigall“ zeigte besonders gute Kostüme und eine hervorragende Szenerie von Dario Cecchi, der den zarten Humor der Andersenschen Fabel noch mehr als jenen der Choreographie erfaßt hatte. Busonis „Indianische Phantasie“, deren Szenerie und Kostüme der bekannte Maler Corrado Cagli entworfen hatte, errang den größten Erfolg des Abends. — Eine Arbeit, deren primitive Zeremonien fast an den „Sacre“ erinnerten, besonders in den weihevollen Bildern der Einleitung zu den Hochzeitsszenen. Mehr als in den vorhergehenden Balletten behinderte die enge Pergola-Bühne hier die großen Szenen des Ensembles und wirkte störend auf die Entwicklung der breitangelegten Handlung ein. Es ist zu hoffen, daß das bedeutende Werk nächste Saison in entsprechenderem Rahmen zu sehen sein wird: in der Wiener Staatsoper, an der Milloss seinen vor drei Jahren aufgegebenen führenden Posten wieder einzunehmen gedenkt

Glücklicherweise nahm er auch hier seine Tätigkeit im besser geeigneten Rahmen des großen „Teatro Comunale“ am nächsten Abend wieder auf: mit der Oper „Padmavati“. Es wäre zu sagen, daß Roussell, ehemals ein französischer Matrose, seine Zuhörer weniger gelangweilt hätte, wäre er bei seinem ursprünglichen Beruf geblieben, als sich jenem eines Komponisten zuzuwenden. Denn seine wenigen Seiten lyrischer, wohlklingender Musik, welche in zwei Akten kaum etwas Bedeutendes zu sagen hatten, wenig, was wichtig erscheinen könnte, genügten nicht. Warum hat man es sich soviel Geld und Anstrengung kosten lassen? Eine Frage, die noch auf Beantwortung wartet. Und hier bleibt auch Milloss eine Antwort schuldig — trotz seines Reichtums an Einfällen. Waffentänzer, Sklavinnen, Blumenmädchen und leuchtende Dekorationen konnten nicht viel zur Rettung des Abends beitragen.

Was „Sheherezade“ betrifft, er schien es zweifelhaft, ob diesem bereits „klassischen“ Werk, als das es seit den Tagen Diaghileffs gilt, eine andere, noch farbigere, wirklich hochdramatischere Färbung zu geben ist. Milloss erreichte mit seiner Version einen solchen Stil und seine Tänzer Amadeo Amodio und Marga Nativo in den führenden Rollen waren ihren Aufgaben voll gewachsen. Doch übertraf sie an Wirkung das Corps de Ballett; auch die unwichtigeren Rollen, getanzt von Mario Bini, Filippo Morucci, Cristina Bozzolini und Giovanna Papi, wirkten vorzüglich. Der bildhafte Teil beider Werke war dem richtigen, etwas zu aufdringlichen Museumsstil von Nicola Benois (Sohn jenes Alex-r andre Benois, dem die Inszenierung der „Sheherezade“ anläßlich der Uraufführung im Jahre 1910 anvertraut gewesen war. George Prėtre und sein Orchester waren sehr erfolgreich in ihrem Bestreben, den Abend zu einem richtigen Publikumserfolg zu gestalten.

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