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Experimentieren Sie!

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Wer kennt nicht das Haus am Ende der Mariahilferstra- ße, im Nahbereich des Schlosses Schönbrunn? Es sind vor allem ^jüngere Leute, die es dorthin zieht. Ein Besuch des „Technischen Museums für Industrie und Gewerbe“ , wie es offiziell heißt, ist auch ein fixer Bestandteil des Schlechtwetterprogramms der Schulen.

Viele der ausgestellten Objekte sind einmalig und sonst nirgends zu finden. Dazu gehören historische Originalobjekte, wie zum Beispiel die Mitterhofersche Schreibmaschine, die Nähmaschine Maderspergers, natürlich auch die Kaplanturbinen, die Schiffsschrauben Ressels etc. Trotz unübersichtlicher und mangelhaft dargebotener Präsentation findet der Besucher viel Sehenswertes. Und wer möchte etwa den Markuswagen—unsere Version des „ersten Autos“ — vermissen?

Mit Stolz blicken wir auf diese Vermächtnisse österreichischen Erfindergeistes und brillanter Ingenieurkunst — und übersehen dabei, daß die Zeit weitergegangen ist und — noch wichtiger — daß sich auch die Museumstechnik weiterentwickelt und verändert hat.

Nicht nur in den USA, auch in unseren Nachbarländern tut sich einiges, und dies nicht erst seit gestern. In Museen moderner Prägung wird der Besucher nicht nur im herkömmlichen Sinn (passiv) informiert, er kann auch selbst Erfahrungen sammeln und einfache Experimente ausführen.

Da gibt es sogar Museen, wo der Besucher dies nicht nur tun darf, sondern sogar tun soll. Das Beispiel schlechthin, das bereits so etwas wie ein Markenzeichen geworden ist, ist das „Exploratori- um“ in San Francisco, eine 1969 von Frank Oppenheimer geschaffene Institution von hohem bildnerischen und didaktischen Wert, wo die Möglichkeiten, selbst zu experimentieren, für jung und alt in einer ganz besonderen Weise verwirklicht wurden.

Wer selbst gesehen hat, wie dort die Besucher begeistert mitmachen, wie auch nach fast zwanzig Jahren Benutzung die Versuche noch funktionstüchtig sind, und wie mit etwas Fantasie auch einfachste Mittel ausreichen, um ein drucksvolle Experimente zu realisieren, wird von der Durchführbarkeit dieser Idee überzeugt sein.

Da gibt es einen Versuch, wo durch bewegte Papiermodelle „dreidimensionale Schatten“ entstehen: ein eindrucksvolles Experiment zur Physiologie. Gleich daneben können bewegte Videobilder der Besucher auf einem großflächigen Projektionsschirm in wahre Farborgien aufgelöst werden — ein Ansatz zu eigener kreativer Betätigung.

In der Akustikabteilung kann der Besucher auf Musikinstrumenten spielen, er lernt Schall- Linsen kennen und kann Töne „sichtbar“ machen. Beispiele aus der Biologie: Wachstum von Pflanzen in künstlicher Schwerkraft (rotierende Trommeln), bioelektrische Phänomene (Sichtbarmachen der Stromstöße des „Elektrofisches“ ).

Selbst so trockene Angelegen heiten wie die Überlagerung von Schwingungen bilden einen Anziehungspunkt: Durch einen mitgeführten Farbpinsel enstehen ornamentale Graphiken, die der Besucher auch erwerben kann.

Kein Wunder, daß es weltweit bereits viele ähnliche oder davon abgeleitete Einrichtungen gibt. Steigende Besucherzahlen bestätigen den Bedarf. So kamen in den ersten neun Monaten seit Eröffnung des „Pare de la Villette“ nahe Paris bereits drei Millionen Besucher. In den USA sind es mehr als 40 Millionen, die jährlich derartige Museen besuchen. Schon bestehen Pläne zur Schaffung eines noch größeren Zentrums in San Jose im kalifornischen Silicon Valley, das Anfang der neunziger Jahre bei einem Kostenaufwand von etwa einer halben Milliarde Schilling in Betrieb gehen soll. Offenbar ist auch die kommerzielle Seite dieser neuen Museen erfolgversprechend.

Sind solche Einrichtungen überhaupt noch als Museen zu bezeichnen? Ist dies die Zukunft aller „Technischen Museen“ ?

Zur ersten Frage ein klares Ja, zur zweiten eher ein Nein. Eine Museumskultur ohne Tradition hätte auf Dauer keinen Bestand, und niemand wird einem gutgeführten Museum herkömmlicher Art, in dem das Bewahren und Zurschaustellen wertvoller Objekte das Hauptziel ist, die Berechtigung absprechen. Ein vorbildliches Beispiel hiefür ist das „National Air and Space Museum“ der Smithsonian Institution in Washington, in dem die wohl wertvollste Sammlung von Fluggeräten in nachahmenswerter Weise präsentiert und bewahrt wird.

Gewisse Erkenntnisse aus der Praxis der „neuen Museen“ sollten jedoch in jedes technisch orientierte Museum Eingang finden. Dabei bedarf es nicht unbedingt eines hohen Aufwandes. Auch das mit etwa 1500 Quadratmeter gesamter Ausstellungsfläche relativ kleine Science Center in San Diego kann seiner Aufgabe gerecht werden.

Und nun zu unserem Technischen Museum: Warum sollte nicht versucht werden, diese in vieler Hinsicht einmalige Einrichtung zu bewahren, gleichzeitig aber in der Zielsetzung auszuweiten und attraktiver zu gestalten?

Was notwendig wäre, ist ein neues Konzept mit mehr Freiraum für die Verantwortlichen, sowohl hinsichtlich schöpferischer Entfaltung als auch flexiblerer Finanzierung. Das erfordert die Mitarbeit der Industrie und privater Mäzene.

Auch auf der didaktischen Seite ist Umdenken notwendig. Nur dort, wo der Besucher eine überschaubare und einheitliche Präsentation vorfindet und wo er die ausgestellten Objekte auch „angreifen“ und damit etwas „tun“ kann, wird sich eine neue Atmosphäre entwickeln — eine Chance, die verbreitete „Technikfeindlichkeit“ abzubauen.

Der Autor ist Professor an der Universität Wien.

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