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Experimentierfelder für kleine Gruppen - aber niemals eigene Kraft

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„Im allgemeinen gilt der massive Protest der Demonstrierenden der Allmacht zentralistischer Entscheidungen, die im schönen, aber eigenwilligen ,Land vor dem Arlberg’, diesem Zentrum des österreichischen Föderalismus, seit altersher höchst unpopulär sind.“ Dies schrieb die „Frankfurter Allgemeine“ in einer Analyse um die Ereignisse von Fußach und hat damit wohl den Nagel auf den Kopf getroffen.

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„Im allgemeinen gilt der massive Protest der Demonstrierenden der Allmacht zentralistischer Entscheidungen, die im schönen, aber eigenwilligen ,Land vor dem Arlberg’, diesem Zentrum des österreichischen Föderalismus, seit altersher höchst unpopulär sind.“ Dies schrieb die „Frankfurter Allgemeine“ in einer Analyse um die Ereignisse von Fußach und hat damit wohl den Nagel auf den Kopf getroffen.

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Noch heute wird in Vorarlberg gerne der „Geist von Fußach“ beschworen, wenn es darum geht, den Wienern die Zähne zu zeigen. Das ist ja schon einmal gutgegangen. Fußach gilt noch heute als der Inbegriff des Widerstandes gegen die zentralistische Staatsgewalt. Was war damals geschehen, am 21. November 1964 in Fußach, einer kleinen Gemeinde am Bodensee.

Der Anlaß scheint eher nichtig, jedenfalls aber nicht geeignet, 30.000 Demonstranten (von der Zahl wurde gesprochen) auf den Plan zu rufen. Die österreichische Bodenseeflotte sollte um ein neues Schiff, das schnellste auf dem See, erweitert werden. Wurde vom damaligen Verkehrsminister Otto Probst „Karl Renner“ als Name vorgesehen, glaubte man im Ländle nicht ohne Stolz, daß „Vorarlberg“ besser geeignet wäre. Traditionellerweise bekommen - auch in den Nachbarstaaten - Bodenseeschiffe nämlich immer Ländernamen. Plötzlich wurde allseits auf stur geschaltet: Probst bestand auf „Renner“, Politiker, öffentliche Meinung und Meinungsträger im Land auf „Vorarlberg“.

Fußach und die Folgen

„Die Vorarlberger drückten damit keineswegs feindliche Gefühle gegen das ehemalige Staatsoberhaupt aus, sie wollten ganz einfach neben der ,Austria“ auch eine .Vorarlberg“ “, schrieb dazu die „Neue Zürcher Zeitung“. Auch die Wiener Presse verteidigte die streitbaren Vorarlberger: „Das Ministerium hat - unbestritten - Vorschläge für die Benennung des Bodenseeschiffes eingeholt, aber nur, um sie in den Papierkorb wandern zu lassen.“ Die Folgen sind bekannt: Als Minister Probst, vom See kommend, in der Fußacher Werft landen wollte, um das Schiff zu taufen, konnte für seine Sicherheit keine Haftung übernommen werden, weshalb er es vorzog, unverrichteter Dinge wieder umzukehren. Die bereits in Fußach eingetroffenen Ehrengäste wurden unter einem Hagel von faulem Obst und Eiern wieder nach Hause geschickt. In einer Nottaufe - statt der bereits ver-

nichteten Sektflasche wurde eine mit Bodenseewasser gefüllte Bierflasche verwendet- gaben die Demonstranten dem Schiff den Namen „Vorarlberg“. Vom sicheren Wien aus bestätigte Probst dann diesen Namen.

Soweit also die Geschichte, von der man in Vorarlberg sagt, daß „sie der Großvater noch seinen Enkeln erzählen wird“, so wie unsere Großväter uns vom Besuch des Kaisers in Bregenz erzählt hatten. Doch damit ist es nicht getan: Fußach hatte auch politische Konsequenzen. Es leitete das Ende der „Ära Pittermann“ ein und war wohl bereits mehr als ein Symptom für die später folgende Wahlniederlage der Sozialisten von 1966.

Aber auch sonst hatte Fußach Folgen: Die Vorarlberger erkannten plötzlich, daß man Entscheidungen von oben nicht völlig hilflos ausgeliefert ist und, was problematischer ist, die Vorarlberger Presse erkannte ihre Macht, das Volk für, wenn man so will, Bagatellen auf die Straße zu bringen. Eine Erkenntnis, die sich in weiterer Folge keinesfalls nur positiv auf dieses Land auswirkte.

Ein Jahr später: Rüthi

Und so kam es, sozusagen im kleinen Grenzverkehr, zur nächsten großen Aktion der Vorarlberger: Knapp ein Jahr später, im Oktober 1965, schlossen sie sich zu Protestkundgebungen gegen das in Rüthi, einem benachbarten Ort in der Schweiz, geplante Kernkraftwerk zusammen. Ein heute durchaus aktuelles Thema also, denkt man an Whyl, Kaiseraugüst oder Brokdorf, vielleicht auch an Zwentendorf. Nur ging es in Vorarlberg friedlicher zu als in den meisten der genannten Orte. Mädchen in Tracht standen den bereits in Fußach zu Ehren gekommenen „Volksrednern“ zur Seite, die Argumente wurden eher auf emo-

tioneller denn auf wissenschaftlicher Ebene vorgetragen. Die ganze Aktion erinnerte auf weite Strecken eher an ein Volksfest als an eine Demonstration. Was nicht heißt, daß sie nicht ernst gemeint war: Ein kleiner Funke hätte wahrscheinlich genügt, und es wäre zu einem verfrühten Brokdorf gekommen. Doch Rüthi erledigte sich - nach längerer Zeit - von selbst. Das Projekt wurde von Schweizer Seite aufgeschoben. Sollte es wieder aufs Tapet kommen, dürften die Reaktionen nicht mehr so sanft sein.

Bürgerinitiative Festspielhaus

Den vorläufig letzten Akt einer Bürgerinitiative setzten in Vorarlberg die Bürger der Landeshauptstadt Bre-

genz. Seit Jahren debattierte man hier über den Bau eines neuen Festspielhauses. Zu Dutzenden wurden Pläne gemacht und wieder verworfen. Als von der Stadt eine Entscheidung getroffen wurde, bildete sich eine Bürgerinitiative, die sich nicht nur an der Architektur und am Volumen des geplanten Baues stieß, sondern vor allem am geplanten Standort am See. Unterschriften zur Einleitung einer Volksabstimmung wurden gesammelt (erforderlich dazu sind ein Viertel der stimmberechtigten Bürger einer Gemeinde), um das gigantische Projekt doch noch zu verhindern. Doch der Bregenzer Bürgermeister Fritz Mayer half sich mit einem Trick: Während die Bürgerinitiative den Unterschriften nachlief, vergab er verschiedene Aufträge, wodurch „Dritten ein Recht erwuchs“. Wenn solche Rechte erwachsen sind, ist die Abhaltung einer Volksabstimmung nicht mehr zulässig. Das Festspielhaus ist nun bereits im Bau und es wächst ständig direkt am Seeufer der geplanten Höhe von 30 Metern zu. Und damit wächst vielfach auch der Unmut jener drei Viertel der Bregenzer Bevölkerung, die nicht gegen das Haus unterschrieben haben.

Drei große Bewegungen also in Vor-

arlberg, die einen unterschiedlichen Erfolg brachten. Doch das scheint - zumindest jetzt - gar nicht mehr so wichtig. Viel entscheidender ist, daß diese großen Bürgerinitiativen teilweise Experimentierfelder für kleine Bewegungen waren. So gibt es jetzt die verschiedensten Initiativen in kleinen Ortschaften, wenn etwa eine neue Straße Wohngebiete beeinträchtigt, Bauern demonstrieren gegen die Situierung einer Abwasserreinigungsanlage in landwirtschaftlichem Gebiet, Bewohner eines Ortes setzen sich gegen den geplanten Kasemenneubau zur Wehr und in den letzten Tagen bildete sich sogar eine Bewegung für kulturelle Belange: Der Bestand der Bregenzer Randspiele, eines jährlichen Kulturfestivals für Jugendliche, geriet durch den Beschluß der Landeshauptstadt Bregenz, keine weiteren

Subventionen mehr zu vergeben, in

Gefahr. Spontan bildete sich eine Gruppe, bestehend aus Jugendorganisationen, Jugendzentren und Einzelpersonen, die eine Aktion „Rettet die Randspiele“ gründete.

Gemeinsam ist allen diesen Bewegungen, daß sie nicht parteipolitisch ausgerichtet waren, auch wenn sie sich vielfach gegen parteipolitische Entscheidungen wandten. Gemeinsam ist allen Bürgerinitiativen in Vorarlberg aber auch, daß sie nie zu einer eigenen Kraft und so zu einer politischen Bewegung außerhalb der Parteien wurden. Die Politiker mußten immer nur in dieser einen Sachfrage, um die es jeweils ging, im Sinne „des Volkes“ entscheiden, dann kehrte wieder Ruhe ein. Nie entwickelte sich aus diesen Initiativen Diskussionen über grundsätzliche Fragen der politischen Moral oder der Machtstruktur im Land oder in einer Gemeinde. Und damit wurden sie auch - vielleicht sollte man sagen leider - für keine der bestehenden politischen Parteien gefährlich. Und da das die Parteien selbst wissen, nehmen sie solche Bürgerinitiativen gar nicht so furchtbar ernst, wie sie den Initiatoren immer weismachen wollen.

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