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Exposé in der Lade

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„Ein schöner Zug von uns: der Städteschnellzug.“ Mit diesem Slogan wirbt die Werbeagentur McCann- Erickson um Sympathien für die Bundesbahn, nachdem sie zuletzt ÖVP-Kandidat Waldheim gemanagt hatte. Aber es hat den Anschein, als ob der Städteschnellzug für längere Zeit der einzige schöne Zug der ÖBB sein wird. Der restliche Wagenpark ist zum Großteil hoffnungslos überaltert, die Fahrgestelle vieler Wagen sind 60 und mehr Jahre alt. Das sieht man nicht nur, das spürt man vor allem. „Nerven sparen, Bahnfahren“ stimmt offenbar schon lange nicht mehr.

Aber man bereitet sich überall in Europa auf die Renaissance der Bahn vor. Die Bahn, so hofft man, wird in Zukunft den endlosen Verkehrswurm »uf den Straßen und auch das Cnartergeschäft in der Luft schlagen.

Und die Vorbereitungen auf die Zukunft der Bahn laufen hierzulande auch noch auf den Trassierungen von gestern. Der Großteil der Strek- ken ist elektrifiziert, es gibt schon moderne Loks mit Spitze 160, aber sie bewegen sich noch immer auf Strecken, deren Trassierungsgrundsätze auf die Fahrleistungen von Dampflokomotiven der Baujahre um 1900 zugeschnitten sind.

Dazu kommt, daß es zwar schon vor geraumer Zeit hieß, daß es 1975 keine Dampfloks mehr geben werde, zur Zeit aber macht die Summe für die Bezahlung von Flurschäden, verursacht durch bahneigenen Funkenflug, noch immer einen stattlichen Betrag aus. 1975: Keine Dampfloks mehr, das heißt, auch keine Dampfloks auf den Nebenbahnen.

Und hier fällt der Funke in ein Pulverfaß. Als der ÖVP-Presse- dienst am 6. August „42 Nebenbahnen von der Einstellung bedroht“ sah, verkündete er damit nichts Neues, veranlaßte aber das Verkehrsministerium zu einem sofortigen Dementi. Die öffentliche Pressestelle des Verkehrsministeriums war sogleich mit der Formulierung, daß „die gegenständliche Meldung daher nur als eine aus politischen Motiven erfolgte Falschmeldung“ beurteilt werde, zur Stelle.

Dabei sind die Nebenlinien der ÖBB ein Problem. Es steht außer Zweifel, daß viele Linien maßgeblich am Defizit beteiligt sind, es steht außer Zweifel, daß da und dort die Umstellung des Bahnbetriebs auf den ÖBB-eigenen Busverkehr Einsparungen erbrächte und sogar in vielen Fällen in der für den Fahrgast günstigeren Art und Weise erfolgen würde. Es ist klar, daß Bahnlinien, die erst einen wirtschaftlichen Anschluß dieser Gebiete für industrielle und gewerbliche Betriebe garantieren, für den Güterverkehr nicht eingestellt werden können. Es ist bekannt, daß oftmals schon eine Umstellung vom Dampf- auf den Dieselbetrieb rationell wäre. Das alles weiß man, darf man aber nur hinter der vorgehaltenen Hand sagen.

Schon Mitte Dezember 1969 hatte nämlich ÖBB-General Dr. Kalz verfügt, daß „Bauarbeiten auf Nebenbahnen nur in jenem Umfang ausgeführt werden dürfen, die das Maß der Erhaltung der Betriebssicherheit nicht übersteigen“. Insgesamt 617 Bahnkilometer sollten auf ihre Rentabilität überprüft werden. Der Sturm der Entrüstung blieb nicht aus, und besonders erregt zeigte sich damals der Eisenbahnzentralbetriebsrat und SPÖ-Nationalrat Ulbrich (bei Parlamentsjournalisten ob seiner „urigen“ Aussprüche populär).

Seither ist die Rationalisierung zwar ins Stocken geraten, kann aber nicht aufgehalten werden. Nur: vertuscht soll sie werden. Weil, wie es ein hoher Beamter in der Elisabeth- straße formulierte, „vur die Wahln des nix is“.

Vor den Wahlen darf aber auch über die Tarifanhebung nichts an die Öffentlichkeit dringen. Man muß zwar in der ÖBB-Generaldirektion zugeben, daß man über ein bereits sehr konkretes Tariferhöhungskonzept verfügt, will aber dazu noch nichts Genaues sagen: Die Tarif- anhebung soll vor der politischen Herbstentscheidung nicht herausgelassen werden. Das genaue Exposé liegt also vorläufig noch in der Schreibtischlade.

Überraschend kommt die Entwicklung nicht: Bereits drei Tage nach seinem Amtsantritt hat Verkehrsminister Frühbauer in seinem ersten Interview bezüglich geplanter Tarifänderungen nicht mit einem klaren Nein geantwortet, sondern gemeint, daß „über Tarifänderungen jetzt schon zu sprechen, verfrüht wäre“.

Heute sind diese Vorstellungen konkreter. So konkret, daß Finanzminister Dr. Androsch der Hamburger Fachzeitschrift „Transportdienst“ erklärte, das langfristige Investitionsprogramm werde bis zum Jahr 1980 232 Milliarden Schilling erfordern. Eine der wichtigsten Einnahmequellen dafür seien der Tarif- und der Kapitalmarkt. „Die Erhöhung der öffentlichen Tarife soll“, in kürzeren Zeitabständen als bisher vorgenommen werden." Auch im

Verkehrsministerium hält man eine Verkürzung der Zeiträume zwischen den einzelnen Tariferhöhungen für denkbar. „Es könnte also sein“, verlautet dazu von gutinformierter Stelle im Verkehrsministerium, „daß 1972 nicht nur die bereits für Anfang 1972 in Aussicht genommene Tariferhöhung (angeblich zwischen 9 und 17 Prozent) durchgeführt werden soll, sondern — etwa zu Ende des kommenden Jahres oder spätestens in der ersten Hälfte 1973 — auch noch eine zweite Etappe.

Die Zukunft liegt bei der Bahn: Wenn man die größte stündliche Transportleistung von 20 Zügen mit rund 1300 Reisenden (drei Minuten Zugintervall) annimmt, so kommt man auf 26.000 Reisende je Stunde. Auf der Autobahn erreicht man mit einer Reisegeschwindigkeit von 125 km/h ein vergleichbares Verkehrsaufkommen von 8000 Reisenden. Das ist die Zukunft. Im dichtverbauten Gebiet Mitteljapans schafft ein Zug die Strecke Osaka— Tokio (515,4 Kilometer) in drei Stunden. Die österreichischen Bundesbahnen brauchen für die Strecke Wien—Innsbruck (über Rosenheim — 512 km) mehr als fünf Stunden. Das ist die Gegenwart.

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