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„Expressionen“

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Die Ende voriger Woche eröffnete Ausstellung im Obergeschoß des Künstlerhauses der Gruppe „Der Kreis“ gliedert sich um den im großen Hauptraum gezeigten Querschnitt durch das Werk der Malerin Elisabeth Stemberger. Ihre Bilder „Spätherbst am Roten Berg“ von 1925 und „Der Beweger“ von 1971, das eine erdfarben im Stil eines schwerblütigen gegenständlichen Expressionismus, das andere eine von Rot dominierte Explosion im Sinn des ungegenständlichen Expressionismus, bezeichnen nur scheinbar Anfang und vorläufigen Abschluß einer Entwicklung. Denn die Arbeiten dazwischen kennzeichnen das Ausschreiten verschiedener Möglichkeiten, auf die die Malerin keineswegs verzichtet, sondern die sie als Instrumentarium benutzt, ihrer jeweiligen Gestimmtheit nachzugehen. So kann dann die farbig fast monochrome gegenständliche Tektonik des schönen Bildes „Am Kanal“ zeitlich neben der verspielten „Zauberin im Gehäuse“ stehen: die Entwicklung wird durch die Festigung des farbig-formalen Bewußtseins und nicht durch das Fortschreiten von einer künstlerischen Anschauung zur anderen bezeichnet. So ist im Werk von Elisabeth Stemberger einerseits deutlich die langsame Bändigung der Farbigkeit — von den teilweise Rouault-haften Bildern nach 1945 bis heute — und anderseits, in den farbig zurückgenommenen Arbeiten, die Festigung der Form zu größerer Tektonik zu sehen. Das gilt auch für die Graphik in der, neben den eindringlichen Sepiazeichnungen von der Einsamkeit der armen Leute, auch die Aktdarstellung einen Wandel von zu glatter Kalligraphie zu stärkerer Plastik und Konkretheit zeigt.

Unter den anderen Arbeiten der Künstlergruppe „Der Kreis“ seien aus der interessanten und lebendigen Fülle nur einige hervorgehoben. So etwa die poetisch-nuancierten Landschaftszeichnungen von Ernst Paar, die virtuosen Holzschnitte von Hans Stockbauer, der nun zu einem magischen Realismus übergeht, die lyrische kleine Welt in den Collagen und Ölbildern Arnulf Neuwirths, die Verfallsromantik des sterbenden Wien im Photo-Realismus von Franz Zadrazil, das Walter Muhammad Malli in seinen spätbarock-expressionistischen Radierungen ebenso besingt wie Richard Ahmad Pechoc die einfallreichen, aber farbig grellen Drucke Hubert Fischlhammers und die zwischen Klee und Kubismus pendelnden Bilder und Graphiken Peter Palffys, die Insekten von Hans Hoffmann und die Temperabilder von Josef Stoitzner, sowie die Mini-Art Eisenradierungen Hans Plob-ners. Dekorative Spiegelobjekte stammen von Peter Perz, dekorative Stahlplastiken von Josef Schagerl.

Die Secession, die über ihrem Tor das Motto trägt „Der Zeit ihre Kunst — der Kunst ihre Freiheit“ zeigt — ob bewußt oder unbewußt sei dahingestellt — zu ihrem Jubiläum eine Ausstellung von Arbeiten Martha Jungwirths und Franz Ringels. Martha Jungwirth ist eine sehr geschickte Zeichnerin, die sich stets auf dem Horizont der gängigen Moden umgesehen und orientiert hat. So hat sie schon vor einigen Jahren auch mit der Sex- und Pop-Welle Position bezogen und wandelt nun, nach ihren kopulierenden Kolbenmotoren und bein- und schuhfetischistischen Graphiken, Mieder im Sinn des neuen Detailrealismus, Frauen im Sessel oder im Bad mit etwas parfümierter Francis-Bacon-Masche und Installationsgestänge als Sexual-organik ab. — Ist diese Erotomanie noch eher als bloß suggestiv und wirklich erotisch zu bezeichnen, so haben Ringels Graphiken und Bilder scheinbar die Direktheit von Vespa-sienne-Malerei (lies: Häusel-Zeichnungen). Ringel hat sich seinerseits bei der „Bildnerei“ der Geisteskranken bei Prinzhorn und Navratil umgesehen und münzt — im wahrsten Sinn des Wortes — Angst und Zwänge der Kranken in bösartige Hübschheit um. Die berechnende Überlegung zeigt sich in den auf schwarzem Grund plazierten ornamentalen Ausschnitten, während die vorgetäuschte Frenesie besonders in den großen Formaten deutlich Ermattungserscheinungen zeigt.

Der Katalog der Ausstellung, ein Photoheft das mit der Ausstellung gar nichts zu tun hat, entlarvt mit dem in diesem Fall unbestechlichen Auge der Kamera die ganze Fragwürdigkeit der Erscheinungen. Ein echtes Dokument.

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