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Exzellentes Klima

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Beim Wiener Diözesanforum, das im Herbst begonnen hat (FURCHE 38 und 39/1989), ist nun das Kirchenvolk am Ball. Es soll die Themen vorgeben, die Delegierten suchen dann nach Lösungsvorschlägen.

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Beim Wiener Diözesanforum, das im Herbst begonnen hat (FURCHE 38 und 39/1989), ist nun das Kirchenvolk am Ball. Es soll die Themen vorgeben, die Delegierten suchen dann nach Lösungsvorschlägen.

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FURCHE: Herr Professor, was ist seit der Delegiertenversammlung des Wiener Diözesanforums pas- siert?

PROFESSOR PAUL M. ZULEH- NER: Das erste war, daß sich das Präsidium zu zwei Sitzungen ge- troffen hat. Zunächst einmal galt es, konkrete Teilziele zu benennen und in einem weiteren Schritt den gesamten Prozeß des Diözesanfo- rums zu strukturieren. Es sieht so aus, als wäre das in einer sehr ge- diegenen Form angelaufen.

Es soll ein Weg der Erneuerung der Kirche von Wien sein, aber nicht, weil es vorher, in den letzten Jahren und Jahrzehnten, so drun- ter und drüber gegangen ist. Auch den Begriff Neu-Evangelisierung kann man ja nicht als Vorwurf ge- genüber der früheren Generation von Laien, Priestern und Bischöfen verstehen, sondern als Hinweis darauf, daß die Geschichte und die Menschen immer wieder neu nach- wachsen und daher zu jeder Zeit eben das Evangelium neu verkün- det werden muß.

Es war auch der Wunsch des Wiener Erzbischof s Kardinal Hans Hermann Groer, die vorhandenen schwelenden Konflikte in einem Forum, das heißt in einem öffentli- chen Gesprächsvorgang, soweit zu bearbeiten, daß die evangelisatori- sche Erneuerung auch möglich werden kann, weil nachweislich viele Konflikte, die es zur Zeit gibt, diesen Erneuerungsweg aus der Kraft des Evangeliums in die Zu- kunft der Kirche von Wien mehr blockieren als begünstigen.

Teilziele sind dann: aus der Kraft der Bibel das zeitliche Leben der einzelnen, aber auch der vielfälti- gen Gemeinschaften vertiefen, durch Gespräch das Klima inner- halb der Kirche und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit verbessern, durch Gebet eine innere Umkehr erbit- ten, Konflikte bearbeiten, Aufga- ben erkennen, durch die uns Gott in die Zukunft führen will.

FURCHE: Ist bei den ersten Sit- zungen des Präsidiums eine konk- rete Liste von Problemen erstellt worden, die jetzt der Reihe nach angegangen werden?

ZULEHNER: Es ist nicht so, daß das Diözesanforum gestellte Auf- gaben erledigen soll. Sondern das Präsidium war der Meinung, es müßte in einem ersten großen Vor- gang möglich sein, daß die Katholi- kinnen und Katholiken der Erzdiö- zese Wien einzeln oder auch in Gruppen die Möglichkeit bekom- men, ihre Anliegen sehr konkret zu benennen, ihre kritischen Beden- ken zu äußern und konkrete thema- tische Vorschläge zu machen.

Das heißt, es ist ein riskanter Vor- gang geplant und auch schon jetzt angefangen worden. Über ein Form- blatt können Eingaben an das Diö- zesanforum gemacht werden, wo- bei in drei Feldern sehr konkret gesagt werden kann: Was ist mein/ unser Anliegen, welche konkreten Vorschläge für die Entwicklung der Kirche haben wir, und wie können wir das aus der Heiligen Schrift auch begründen?

Bei verschiedenen diözesanen Synoden, wie sie derzeit auch in Deutschland laufen, hat man es nir- gendwo riskiert, in einer so großen Breite die Meinung des Volkes ein- zuholen. Insofern genießt dieses Konzept des Wiener Diözesanfo- rums eine Art Originalität, weil alle anderen Großkirchen schon ganz bestimmte Themen vorgegeben haben und sich nur auf diese The- men konzentriert haben.

Begleitet wird dieses Unterneh- men, möglichst viele Leute zu be- teiligen, durch weitere Aktivitäten, daß nämlich an die Kirchenbei- tragszahler ein kleines Formblatt geschickt wird, mit dem sie melden können, was sie stört und was sie gut finden, um auch ein Grundvo- tum in einer möglichst breiten Form, nicht nur von Kircheninsidern, zu bekommen. Ferner ist im Gespräch, mit der Katholischen Jugend Wien den 16- bis 20jährigen einen per- sönlichen Brief zu schreiben und sie zu bitten, sich auch an diesem Vorgang zu beteiligen.

FURCHE: Wie kommt das Form- blatt an die Leute?

ZULEHNER: Das Formblatt ist über alle Pfarreien und über alle Verbände erhältlich, es liegt in den Kirchen auf, wird einer möglichst breiten Zahl von Menschen in der Erzdiözese Wien zugänglich ge- macht. Es liegt bereits vor. Der gesamte Prozeß stützt sich aus- schließlich auf biblische Traditio- nen, und auch das Motto ist ein zentraler Bibeltext: „Seid so unter- einander gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht." Das ist sicherlich kein Satz, mit Hilfe dessen man schwelende Konflikte unter den spirituellen Teppich kehren will.

Das Pastoralamt übernimmt die Administration der Eingaben. Es ist geplant, daß nach Ende der Eingabefrist am 30. April 1990 die gezielte fachkundige Auswertung einer wahrscheinlich sehr respek- tablen Zahl von Eingaben geschieht. Dann sollte es möglich sein, aus den vielen Eingaben eine Bündelung von Hauptthemen vorzunehmen. In der ersten großen Sitzungsperiode im Oktober werden wir in einem er- sten Gang eine Generaldebatte über das breite Spektrum der Eingaben durchführen, um dann beschließen zu können, welchen wenigen Hauptthemen sich dann das Diöze- sanforum zuwendet und welche anderen Themen an bestehende Institutionen der Erzdiözese Wien zur weiteren Bearbeitung ausgela- gert werden.

Wobei sich wahrscheinlich die in- teressante Möglichkeit ergibt, daß sich zu den gewählten Themen dann Kommissionen bilden und - das scheint mir ein ganz wichtiger Vor- gang zu sein - durch diese Kommis- sionen dann natürlich der noch brachliegende Brain-Trust der Erzdiözese, Pfarrer oder andere Personenkreise, als Berater an den Prozeß des Diözesanforums gebun- den werden kann.

FURCHE: Wie ist das Klima im Präsidium?

ZULEHNER: Das Klima ist ex- zellent. Es ist ein sehr kreatives, ein sehr konstruktives Klima, und der Herr Generalvikar gibt im Grunde genommen dem Gesamtpräsidium unentwegt das Gefühl, daß eine sehr eigenständige und sehr schöpferi- sche Arbeit erwünscht ist. Es hat bisher noch keinerlei Interventio- nen von der Diözesanleitung gege- ben, was den Entwurf und die In- szenierung des Vorganges betrifft.

FURCHE: Wann wird das Präsi- dium wieder tagen und was steht dort noch zur Diskussion?

ZULEHNER: Ende Jänner ist die nächste Sitzimg. Öffentlichkeitsar- beit steht noch aus. Ich glaube, es müßte eine sehr redliche Berichter- stattung über das geschehen, was jetzt in der Phase der Eingabe läuft. Man müßte zwischendurch Berich- te hinausge ben, was das Präsidium macht und wie die Planung läuft.

FURCHE: Ist nicht auch geplant, auf Pfarrebene „Pfarrforen " durch- zuführen?

ZULEHNER: Natürlich, das ist ein Baustein in der Absicht, daß zunächst in der Breite des Kirchen- volkes ein Forum stattfinden soll. In der zweiten Sitzungsperiode ist geplant, daß dann provisorische Textentwürfe noch ein zweites Mal in den Pfarrgemeinden diskutiert werden.

FURCHE: Angenommen, Sie be- kommen massenhaft Zuschriften, in denen zum Beispiel die gerade erst eingerichtete Glaubenskom- mission in Frage gestellt wird. Ist es denkbar, daß der Erzbischof auf- grund dieser Vorschläge seine Mei- nung ändert?

ZULEHNER: Wir gelangen bei dieser Frage an die grundsätzliche Frage: Was heißt Ratgeben in der Kirche? Im Prinzip ist ein solches Diözesanforum ja auch nichts an- deres als ein sehr aktueller Bera- tungsvorgang für die Kirchenlei- tung. Das Zweite Vatikanische Konzil hat darauf hingewiesen, daß solche Beratungsvorgänge für die Ausübung des Amtes unverzicht- bar sind, weil das Amt dadurch in die Lage kommt, mehr zu erfahren, nämlich, welche Themen, Konflik- te es im Volk gibt, und auch, welche Ideen es im Volk zur Lösung dieser Konflikte gibt.

Manchmal hat man den Eindruck, wenn man die Beratung von Pfar- rern durch die Pfarrgemeinderäte sieht, daß Pfarrer meinen, wenn man einen Rat bekomme, dann läge es in der Beliebigkeit des Pfarrers sich daran zu halten oder nicht. Nun meine ich, daß das nicht die Absicht des Konzils war und daß es auch theologisch nicht haltbar ist, weil wir ja von der Theologie her sagen müssen, daß Gottes Geist nicht einem Amtsträger, sondern jedem Kirchenmitglied gegeben ist und man deswegen das, was von Gott her gesehen jetzt und heute für die Kirche notwendig ist, nur dann erfahren kann, wenn man in einem respektvollen Aufeinander- Hören das erkundet, was Gottes Absicht für die Menschen ist.

So gesehen meine ich, wenn umge- ben von Gebet und Fasten ein sol- ches Diözesanforum berät, daß es nicht etwas ist, was man so beliebig übergehen wird. Und ich glaube, daß das auch nicht die Absicht des Herrn Erzbischofs sein kann, zu- mal er ja selbst das Diözesanforum einberufen hat, um eben beraten zu werden. Ich kann mir vorstellen, daß das Diözesanforum durchaus zu akuten Konflikten, zur Hoch- schulgemeinde, zur Glaubenskom- mission und zu anderen anstehen- den Themen, dem Herrn Erzbischof Lösungvorschläge unterbreiten wird. Und ich. kann mir nicht vor- stellen, daß der Herr Erzbischof dann sagt, das ist für mich bedeu- tungslos.

Ich glaube, daß es eine konflikt- freie Kirche vom Prinzip her j a nicht geben kann, immer vorausgesetzt, daß wir noch nicht das Reich Got- tes sind, sondern auf dem Weg dahin und daß wir viele Dinge nur bruch- stückhaft erkennen. Ich wünsche mir, daß man zumindest ehrenvolle Kompromisse schließen wird, so- daß auf jeden Fall kleine Schritte zur Lösung stattfinden, wenn auch die große Lösung nicht immer er- reicht werden kann.

Das Gespräch mit dem Ordinarius für Pasto- raltheologie an der Universität Wien und zwei- ten Vizepräsidenten des Diözesanforums führte Heiner Boberski.

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