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FACHHOCHSCHULEN - DIE NEUE HERAUSFORDERUNG

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Die europäische Integration löste einen für die österreichische Bildungslandschaft seit Jahrzehnten ungewohnten Diskussionsprozeß aus. Der Blick über die Grenzen hat gezeigt, daß sich Österreich zwar auf ein ausgezeichnetes Bildungswesen stützen kann, aber auch die Augen vor notwendigen Anpassungsprozessen nicht verschließen darf. Die zweijährige Diskussion um die Gründung von Fachhochschulen ist wohl nur eine Facette notwendiger bildungspolitischer Entwicklungsprozesse.

Das Regierungsprogramm sieht "die Anpassung des berufsbildenden Bildungssystems an den europäischen Standard" und die "Einrichtung von Fachakademien" vor. Mittlerweile redet man nur von Fachhochschulen (FHS).die aus einer Reihe von Gründen eingerichtet werden sollen.

Es ist kein Geheimnis mehr, daß wir im Vergleich zu anderen Industrieländern sowohl einen relativ niedrigen Akademisierungsgrad als auch eine niedrige Studentenquote aufweisen. Eine Situation, die vor allem darauf zurückzuführen ist, weil wir über fast keine Bildungsinstitutionen zwischen Matura und Vollzeitstudium verfügen. Aber nicht nur die Bildungsneigung der Jugend hat sich verändert, sondern auch die Qualifikationsanforderungen der Unternehmen.

Von vielen Absolventen werden zusätzliche wirtschaftlich-technische Kenntnisse, Grundlagen an Führungswissen, bessere Fremdsprachenbildung und vor allem Schlüsselqualifikationen verlangt. Der Zuzug zu den Universitäten hält, mangels Alternativen, weiter an, und die hohen drop-out-Raten (50 - 70%) haben mittlerweile unvertretbare Ausmaße angenommen. 90% der Maturanten wollen eine beruflich verwertbare Bildung und dennoch studieren immer mehr junge Menschen in wirtschaftsfernen Bereichen mit eher schwierigen beruflichen Aussichten. Schließlich spielt auch" die Einordnung unserer Bildungsabschlüsse in die EG-Systematik für die Niederlassungschancen unserer Absolventen am europäischen Bildungs- und Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle.

Aus all diesen Gründen - Qualifikationsbedarf, Alternativen zum Hochschulstudium, europäische

Bildungsstandards - tritt die Industrie für die Schaffung von Fachhochschulenbzw. Fachhochschulstudien ein. Eine umfangreiche Umfrage bei 265 Unternehmen mit mehr als 280.000 Beschäftigten, davon 20.000 HTL- und 10.000 Diplomingenieuren stützte diese Haltung: 87% der Unternehmen meinen: "Wir brauchen eine FHS wie in der Bundesrepublik Deutschland, da das Technikstudium an der Universität zu lange dauert und zuwenig praxisnahe ist." Und immerhin 46% halten eine Qualifikationsstufe zwischen HTL-Abschluß und einem vollen Tech-' nikstudium für wichtig.

Allerdings ist die Industrie vom Anfang an für eine "Politik der kleinen Schritte" eingetreten und hat die Durchführung einerOECD-Studie, deren Ergebnisse in wenigen Monaten vorliegen werden, angeregt. In einer so sensiblen bildungspoli-tischenEntscheidung wäre es unverantwortlich, erfolgreiche Bildungsstrukturen, wie z.B. unsere bewährten berufsbildenden höheren Schulen, insbesondere die Höheren technischen Lehranstalten, zu reformieren, wenn nicht zu zerschlagen, ohne zu wissen, wie neu zu gründende Fachhochschulen zu gestalten wären.

Obige Umfrage hat auch ergeben, daß 93% der Unternehmen mit der Qualität der HTL-Ausbildung sehr bzw. weitgehend zufrieden sind und diese Absolventen (92%) von besonderer Wichtigkeit fürdas Unternehmen sind.

Leider hat manch ungeschicktes, unpräzises Argument einzelner "Bildungsexperten" und das Schüren von Ängsten vor einem EG-Beitritt und den Konsequenzen für den österreichischen HTL-Inge-nieur vorübergehend Verwirrung gestiftet.

Tatsache ist, daß unsere HTL-In-genieure eine hohe Qualität der Ausbildung mitbringen, über die Grenzen hinaus geschätzt und anerkannt werden und - wie die 2. EG-Anerkennungs-Richtlinie vom Juni 1992 zeigt - aller Voraussicht nach, auch in der EG jene Berufe werden ausüben dürfen, die sie auch in Österreich mit großem Erfolg bestreiten.

Nicht zuletzt deshalb hat sich die Industrie vehement gegen Vorschläge gewendet, diese sogar international anerkannten Schulen einem gravierenden Reformprozeß (z.B. eine Reduktion der fünfjährigen Jahrgänge auf vier Jahre mit Aufbaustudium) zu unterwerfen.

Dennoch brauchen wir Fachhochschulen, die mit den Universitäten in einen sinnvollen Wettbewerb um Akzeptanz, um Studenten und Finanzmittel treten sollen. Gerade die aktuelle Universitätsdiskussion zeigt, wie mühsam es ist, unsere Hohen Schulen an neuen internationalen Anforderungen auszurichten und verstärkt an Leistung, Qualität und Effizienz zu orientieren.

Ein Fachhochschulstudium soll vor allem kurz (mindestens drei Jahre, um der Diplomrichtlinie der EG zu entsprechen), attraktiv aufgrund des besonderen inhaltlichen, fachlichen Angebots, straff stukturiert und besonders praxisorientiert geführt werden.

In einigen Bundesländern - insbesondere in Vorarlberg, wo bereits ein Studienversuch "Automatisierungstechnik" läuft, aber auch in Oberösterreich und Steiermark -sind die Vorarbeiten für Fachhochschulstudien bereits sehr weit gediehen.

Die politischen Entscheidungen stehen noch aus. Die OECD-Experten haben vor kurzem ihre Prüfung in Österreich abgeschlossen. Alles wartet auf den offiziellen Bericht, der neben einer kritischen Analyse der österreichischen Bildungslandschaft die Grundlagen für politische Weichenstellungen und Anregungen für die Lösung der Finanzierungsfragen geben dürfte.

Parallel dazu ist ein Fachhochschulstudien-Anerkennungsgesetz in Begutachtung. Es sieht vor, daß unterschiedliche Anbieter bei einem Fachhochschulrat um die Bewilligung zur Führung von Fachhochschulstudien ansuchen und dann damit beginnen können. Dieses Gesetz eröffnet in Österreich die einmalige Chance, Bildungseinrichtungen nicht nur seitens des Bundes zu führenund zu finanzieren, sondern darüber hinaus, auf regionaler Länder- oder Gemeindeebene in intensiver Zusammenarbeit etwa mit der Wirtschaft anzubieten.

Die Situation ist jedoch nicht einfach: Beide Bildungsminister (Unterrichts- und Wissenschaftsminister) sind dafür, die verantwortlichen Sektionschefs verfechten diese Idee, gemeinsam mit den Experten der Ministerien. Auch Wirtschaft und Industrie treten für die Gründung von Fachhochschulstudien ein. Interessanterweise kommt Kritik von der Arbeitnehmerseite - vielleicht aus überzogenen gesellschaftspolitischen Ängsten.

Die Entscheidungen werden wohl am Beginn des Jahres 1993 fallen und es ist zu erwarten und zu hoffen, daß zwischen den massiven Befürwortern und den wenigen Gegnern ein gemeinsamer Weg möglich sein wird.

Letztlich geht es um nichts weniger als um ein Zusatzangebot auf tertiärer Ebene für junge, engagierte und fähige Menschen, die nicht unbedingt den langen und oft einseitig wissenschaftlichen Weg an einer Universität einschlagen wollen.

Bildungspolitische Veränderungen bedürfen grundlegender Analysen, Weitblick, wenn nicht Visionen, und nicht zuletzt politischer Durchschlagskraft. Erstere haben die verantwortlichen Minister bewiesen, die Durchsetzungskraft steht noch aus.

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