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Fahrplan des Weltendes ?

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Die Zeugen Jehovas gehören zu jenen Sekten, die am stärksten wachsen. Ihre (Droh)Botschaft baut auf allzu wörtlich genommenen Bibelstellen und obskuren Rechnungen auf.

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Die Zeugen Jehovas gehören zu jenen Sekten, die am stärksten wachsen. Ihre (Droh)Botschaft baut auf allzu wörtlich genommenen Bibelstellen und obskuren Rechnungen auf.

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In der Sicht der Zeugen Jehovas sind in der Apokalypse Ereignisse vorausgesagt, die in unserem Jahrhundert eingetroffen sind, beziehungsweise noch geschehen werden. In der kirchlich-christlichen Bibelauslegung hingegen sind es in erster Linie die Probleme, Nöte und Katastrophen der durch den Seher Johannes am Ende des ersten Jahrhunderts angeschriebenen Gemeinden, die bilderreich zur Sprache gebracht werden.

Dafür spricht vor allem, daß in den ersten Kapiteln immer wieder deutlich gesagt wird, daß sowohl Johannes selbst (vergleiche Offenbarung 1,9) als auch die Gemeinden in Bedrängnis geraten sind. Die geschilderten Bilder werden überdies öfter transparent für konkrete damalige Ereignisse und Gegebenheiten: der Reiter auf dem weißen Pferd in Offenbarung 6,2 hat einen Bogen und erhält einen Siegeskranz—eine mögliche Anspielung auf die Parther; das Tier, das ab 13,11 beschrieben wird, ist höchstwahrscheinlich ein Symbol für den Kaiser Nero; noch deutlicher ist festzustellen, daß mit der Hure Babylon in den Kapiteln 17 und 18 die Stadt Rom gemeint sein muß.

Die Offenbarung des Johannes gibt sich eindeutig als Trostbuch für die bedrängten Gemeinden ihrer Zeit zu erkennen. Es ist unwahrscheinlich, daß Ereignisse, die nach 2000 Jahren eintreffen würden, die Christen damals getröstet hätten...

Wenn also die Gemeinden von damals angeschrieben sind und die angekündigten Katastrophen nicht in der beschriebenen Weise — wie wir mittlerweile wissen — bald stattgefunden haben, so liegt natürlich die Frage nahe, ob denn die Apokalypse für uns überhaupt noch Bedeutung hat

Apokalyptische Schriften sind stets in schweren Zeiten entstanden. Sie wollen die Menschen in ihrer Situation aufrichten, trösten, aber auch zur Umkehr und zum Durchhalten aufrufen. Von der gegenwärtigen Weltzeit wird nichts mehr erwartet Rein diesseitig betrachtet ist die Situation hoffnungslos. Heil wird ausschließlich von einem „neuen Himmel“ und einer „neuen Erde“ (Offb 21,1), die Gott schafft, ausgehen. Gott behält trotz aller Verfolgungen um des Glaubens willen, trotz Hunger, Not und Tod das letzte Wort. Gottes Gericht wird die Gerechten retten.

Und das gilt nicht nur für damals. Gerade heute leben wir in einer Situation, aus der viele keinen positiven Ausweg mehr sehen. Nicht nur notorische Pessimisten meinen, daß eine globale Katastrophe unvermeidbar sei angesichts des atomaren Wettrüstens, der einseitigen Güterverteilung, der Umweltkatastrophen, dem steten Wachsen der Konfliktherde und anderem mehr. Und gerade hier sagt auch uns die Geheime Offenbarung in eindrucksvollen Bildern: egal, was geschieht - nicht der Atompilz, nicht das verhungerte Baby, nicht Massaker sind das Letzte — sondern Gottes Gericht Das gilt nicht nur, wenn es tatsächlich zu diesen Katastrophen kommt, sondern auch unabhängig davon.

Für innerkirchliche Spannungen ist auch folgendes bemerkenswert: Die Gemeinden der Apokalypse sind nicht nur von außen, sondern auch von innen durch Irrlehren bedroht (vergleiche 2,2 und andere Stellen). Schlimmeres kann wohl nicht mehr passieren: Zur äußeren Bedrängnis gesellen sich Spannungen in den Gemeinden. Statt in der Gemeinde den bergenden Rückhalt zu finden, sitzt der Gläubige zwischen zwei .Sesseln. Wir wissen, daß es auch in unseren Tagen Menschen gibt, die das Heimatgefühl in der Kirche mehr und mehr verlieren. Soweit dies nicht aus eigenem Verschulden geschieht, will auch ihnen die Offenbarung Trost und Stütze sein.

Zurück zur Interpretation der Zeugen Jehovas: Neben dem genannten prinzipiellen Unterschied zur kirchlichen Sicht sei anhand einzelner Aussagen gezeigt, daß ihr Verständnis in vielen Fällen am Bibeltext vorbeigeht: Da ist zunächst die problematische Berechnung des Jahres 1914, in dem Jesus auf unsichtbare Weise wiedergekommen sein soll und Satan auf die Erde gestürzt worden sei, wodurch es zu den gegenwärtigen Kriegen, Hungersnöten und Seuchen käme. Sie stützen sich dabei auf einen Text im Alten Testament, Daniel 4,10-37. In diesem wird ein vom König Nebukadnezar geträumter Baum als Sinnbild für sein Geschick gedeutet. Die Zeugen verstehen diesen Baum jedoch als Sinnbild des Königsreiches Jehovas, obwohl er in 4,19 eindeutig auf den König bezogen wird. Von daher sind auch die weiteren Schlußfolgerungen, die darauf für die Errechnung des Jahres 1914 aufbauen, irrelevant

In naher Zeit erwarten sie die Endschlacht Jesu in Harmagedon, nach der 144.000 auserwählte Gerechte eine himmlische Anschauung genießen und mit Jesus in seinem Reich herrschen. Die übrigen Menschen, die gottgefällig gelebt haben, werden in einem irdischen Paradies leben. Die Lehre von den 144.000 Erwählten wird vor allem aus Offb 14,1-5 hergeleitet. Dort steht, daß 144.000 Menschen beim Lamm (als Symbol für Christus) auf dem Berg Zion zu finden sind.

Allerdings übersehen die Zeugen dabei, daß die Genannten laut Vers 4 nur eine Erstlingsgabe (aparche) für Gott sind und in Offb 7,4ff. die 144.000 schon vorher begegnen, wobei deutlich wird, daß außer den 144.000 auch „eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen“ bei dem Lamm zu finden ist Bei konsequenter Weiterführung ihrer Argumentation müßten zu den Erwählten ausschließlich Juden gehören, da die 144.000 laut Bibeltext alle aus jüdischen Stämmen kommen. Doch diese Konsequenz ziehen die Zeugen nicht mehr. Sie verkennen auch die nicht zu leugnende symbolische Bedeutung der Zahlen in der Offenbarung (vergleiche etwa Offb 13,18).

Bei genauem Hinsehen erweist sich die Ideologie von den 144.000 Erwählten als Absicherung der Autorität der leitenden Zeugen in New York, die zu dieser Gruppe gehören und so einen nicht hinter-f ragbaren Einfluß besitzen. Ihnen ist kritiklos zu gehorchen. — Viel ungekünstelter ist hingegen die kirchliche Erklärung der Vision von den 144.000 Erwählten, nach der dadurch die damals verbreitete jüdische Erwartung von der Sammlung Israels angesprochen ist.

Letztlich wäre noch als markantes Beispiel der Auslegung durch Jehovas Zeugen ihre Sicht der in den Kapiteln 17 und 18 begegnenden Hure Babylon zu nennen. Obwohl der Text selbst in seltener Deutlichkeit diese Gestalt mit der Stadt Rom identifiziert (vergleiche 17,9.18), werden die Zeugen nicht müde, mit gekünstelten Argumenten in der Hure Babylon eine religiöse Macht am Werk zu sehen. Die römische katholische Kirche begegnet immer wieder als besonderes Feindbild, ebenso die Vereinten Nationen.

All diese Beispiele belegen, daß es sich beim Umgang mit der Bibel, wie ihn Jehovas Zeugen betreiben, um willkürliche Auslegung handelt und so ernst zu nehmende Aspekte eher die Ausnahme bilden. Die Bibel ist also kein Rechenbuch, sondern eine Trostschrift für jeden Menschen angesichts seiner Vergänglichkeit und Bedrohtheit

Der Autor ist Pfarrer in Wien (Am Schöpfwerk). Gekürzte Wiedergabe eines Referates, das anläßlich der Sommertagung 1987 des Osterreichischen Katholischen Bibelwerkes im Bildungshaus Wien-Laim gehalten wurde.

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