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Fahrt zurück ins Mittelalter

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Sogenannte Großausstellungen enttäuschen meistens. Man erwartet neue Erkenntnisse, neue Erlebnisse, Überraschungen und findet sich dann meistens nicht mehr zurecht im Gestrüpp der Objekte und gescheiten Hinweise. Daß dem nicht immer so sein muß, beweist die Schau „Gotik in der Steiermark“ im Benediktiner stift St. Lambrecht.

Die romanische Kirche des zu Ende des elften Jahrhunderts von den Eppensteinern gestifteten Klosters, von der noch Mauersubstanz in den Westtürmen und der Nordwand erhalten blieb, stürzte Ende 1327 ein und wurde als irreparabel erachtet, so daß man bald ihre Neugestaltung in Angriff nahm“, so nüchtern und akribisch genau beschreibt Oth-mar Wobisch die Entstehung der Stiftskirche von St. Lambrecht, einer der bedeutendsten österreichischen Kirchen der Hochgotik. Ein Zentrum mittelalterlicher Kunst und Kultur, ein Zentrum des benediktinischen Geisteslebens; auch heute noch, wie Abt Maximüian Aichern glaubwürdig versichert. Eine nicht nur kunsthistorisch interessante und relevante Stätte. Darum ist es auch kein Zufall, daß die Gotikausstellung gerade in St. Lambrecht stattfindet, eine Ausstellung, die ausführlich und trotzdem übersichtlich wie kaum eine andere die Verflechtungen von profaner und sakraler Kunst des Mittelalters verdeutlicht. Eine Vielzahl an Objekten, Dokumenten, Aufzeichnungen vermitteln ein Bild einer Epoche, von der man nur verschwommene, mystifizierende Vorstellungen hat.

Schon in der großen Ausstellung „Gotik in Österreich“ vor wenigen Jahren hatte man mit Erfolg versucht, die falschen Vorstellungen über dieses Zeitalter zu korrigieren, das Bild der Gotik zu erhellen. In St. Lambrecht hat man aus den Erfahrungen und Fehlern dieses ersten Versuches gelernt, hat die Thematik eingegrenzt, hat versucht, regionale Aspekte exemplarisch für größere geistes- und kulturgeschichtliche Zusammenhänge zu betonen. Und es ist gelungen, vorbüdlich gelungen.

Damit wird die Frage nach den spezifischen Ausformungen einer steirischen Gotik nicht mehr so wichtig, auch wenn die Wiener Kunsthistorikerin Renate Wagner das versucht hat -mit wenig Erfolg allerdings: „... man wird mit einiger gebotener Vorsicht das Vorhandensein von gewissen Eigentümlichkeiten festzuhalten haben, wie die Tendenz zur Rückbildung zentraler Raumformen zum Langraum, zu dem verspäteten, aber phantasievollen Aufgreifen gewisser Motive, zur Vorliebe für bestimmte plastische Durchgestaltungen mit dem Einsatz von Kehlungen und Kopfmasken, die der steirischen Baukunst zweifellos eine eigene Note verliehen haben, ohne sie freüich aus dem größeren Zusammenhang der süddeutschen-österreichi-schen Bautätigkeit herauszuheben. Wichtig wie überall ist auch hier der historische Hintergrund, der für die Bautätigkeit die Basis abgibt.“

Gerade der „historische Hintergrund“ ist das zentrale Anliegen dieser Ausstellung. Gotik - das hielt man bisher immer für eine der letzten Bastionen ekklesiastischen Denkens, für die letzte künstlerische Ausdrucksform der Zweischwertertheorie. Man verstand unter gotischer Kunst liebliche Madonnenbilder mit goldenem Hintergrund, leidende Märtyrer, gesell-schaftsferne Skulpturen und Votivta-feln. Daß das zum Großteil Vorurteile sind, wird bei der Besichtigung der ausgestellten Objekte klar.

In der Steiermark hatte der Adel schon sehr bald eine rege Bautätigkeit initiiert, das Aufkommen der Städte als ökonomische und kulturelle Zentren, der Verlust der mittelalterlichen Autarkie, das Aufblühen des Handwerkerstandes, alles das hatte einen bedeutenden Einfluß auch auf die kirchliche Kunst und das kirchliche Selbstverständnis. Die Adeligen und die reichen Händler begannen der Kirche ihren Alleinherrschaftsanspruch in der Kunt streitig zu machen, zuerst im Verein mit der Kirche als Auftraggeber für Votiv- und Heiligenbilder, als Mäzene, dann als selbständige Verwerter von Kunst. „Die Materielle Kultur“ begann sich durchzusetzen, die Inhalte zu verändern. Die wirtschaftliche

Ebene ist durchaus zu vergleichen mit der in Mittelitalien, nur hatte das Bürgertum dort im Verein mit der Kirche eine eigene künstlerische Ausdrucksform gefunden: Die Renaissance. In Österreich behielt man das gotische Formenkorsett länger an, bei uns blieb die Gotik bis weit ins sechzehnte Jahrhundert hinein dominant, bis zu den Türkenkriegen, die den ökonomischen und politischen Niedergang der reichen Handelsstädte signalisierten. Diese politische Wende hatte auch in der Steiermark ihre Folgen, die aufblühenden Städte versanken wieder in Bedeutungslosigkeit.

Aus diesen Gründen ist die Ausstellung in St. Lambrecht auch brennend interessant, weil sie die Bezüge und Verflechtungen zwischen aufkommendem Bürgertum, dem herrschenden Adel und der Kirche aufdecken hilft, weil sie Anregungen gibt, Kunst nicht mehr losgelöst von ihrer Zeit und von ihren politisch-sozialen Hintergründen zu sehen. Die Geldgeber wollten auf den Bildern und in der Architektur repräsentiert sein, wollten die Kunst umfunktionieren zu einem weltlichen Machtmittel gegenüber der Kirche. Statt des undefinierbaren Goldhintergrundes in der frühmittelalterlichen Malerei tauchten plötzlich genau definierte, perspektivisch gemalte Landschaften auf, die Personen wurden naturalisiert, der adelige Auftraggeber ließ sich nicht selten auf den Bildern verewigen. Die Profanität drang in die religiöse Form ein, ohne sie zu sprengen. Nach außen hin wirkte alles wie gewohnt, neutestamentarische Motive dominierten weiterhin. In St. Lambrecht läßt sich diese Entwicklung genau verfolgen, lassen sich Spuren nach vollziehen bis zum Höhepunkt der Gotik, wie etwa in dem berühmten Büd „Mantelspende des Heiligen Martin“ vom Meister der Brucker Martinstafel. Hier figuriert die Umgebung der Stadt als Hintergrund, als Selbstdarstellung einer reichen Zunft.

Das Stift St. Lambrecht selbst ist von seiner Architektur her das beste Beispiel für das geänderte Selbstverständnis religiöser Kunst, für das neue Selbstverständnis der Kirche. Ursprünglich in romanischem Stü erbaut, wurde die Kirche nach dem Einsturz im Jahre 1327 im gotischen Stü wieder aufgebaut, größer, prachtvoller, dominierender als je zuvor. Die Klostergebäude wurden erweitert, die Benediktiner entwickelten von St. Lambrecht aus eine rege Bautätigkeit, dehnten ihren künstlerischen Missionsanspruch auf die Umgebung des Ortes aus. So wurde etwa die Wallfahrtskirche Mariazell gegründet, als „religiöser Knotenpunkt zwischen Deutschen, Slawen und Ungarn“, wie Pater Benedikt Pank es formuliert. Mariazell war gewissermaßen zum Propagandainstrument für kirchliches Wirken in der Steiermark geworden.

Außerdem hatte das Stift St. Lambrecht die sogenannte Exemtion, das heißt, es stand unter dem direkten Schutz des Papstes, konnte seine Mission also autonom, gewissermaßen als kleines Bischofstum durchführen. Ein Privüeg, das zu jener Zeit nur sehr wenige Stifte besaßen. Das erklärt auch die große geistige und kulturelle Bedeutung der Benediktiner in diesem Raum, erklärt den künstlerischen und politischen Aufschwung. Auch in ökonomischer Hinsicht war das Stift ein Vorbüd. So wurde etwa 1390 eine Reorganisation der Verwaltung durchgeführt, die für damalige Ver-

Photo: Bundesdenkmalamt hältnisse revolutionär war, die die Erträge des Stiftes in die Höhe schnellen ließ und somit die finanzielle Basis für die Auftragsarbeiten an prominente Künstler dieser Zeit schuf. Die Pas-sionsretabeln oder die verschiedenen Fresken und Votivbilder in St. Lambrecht sind durchwegs von hohem künstlerischen Niveau, Meisterleistungen der österreichischen Gotik.

St. Lambrecht ist ohne Zweifel ein würdiger und adäquater Ort für diese Ausstellung. Man hat sich auch Mühe gegeben, hat die wichtigsten Kunstwerke aus der Steiermark zusammengetragen, hat sie katalogisiert, beschrieben, in die gesamtkulturelle Situation eingeordnet. Das Stift als „lebendes Museum“ ist der richtige Hintergrund.

Die Ausstellung selbst hat man in verschiedene Abteilungen getrennt, hat die Architektur der Gotik mit Reproduktionen aller wichtigen gotischen Kirchen der Steiermark dokumentiert. Hier sieht man besonders deutlich den Formenreichtum dieses Stüs, angefangen von den einfachen Strebepfeüern und Kreuzrippengewölben bis zu den Manierismen der Spätgotik, wie etwa im ehemaligen Zisterzienserstift in Neuberg oder in der Benediktinerstiftskirche in Goß. Man kann an Ort und Stelle Vergleiche ziehen, kann die gegenseitigen Beeinflussungen und Verflechtungen in der Architektur erkennen, kann Formen studieren.

Dann als nächste Abteilung die Malerei, die den Wandel des kirchlichen und bürgerlichen Selbstverständnisses wohl am besten wiedergibt, wenn man etwa Stadtveduten mit testamentarischen Motiven koppelt, wenn der goldene Hintergrund sich zugunsten einer fast realistischen Landschaft auflöst. Die Bilder sind auch ausführlich beschrieben, in einem Katalog, der ohne weiteres mit wissenschaftlichen Kriterien gemessen werden kann, der informativ ist, ohne durch zuviel an Information zu verwirren. Dann die mittelalterliche Plastik, die zur Repräsentation wurde, in der sich am frühesten autonome künstlerische Bestrebungen zeigten, die zum Symbol für formale Ausgestaltungen wurde. Gerade hier überrascht die Qualität der Objekte, überraschen die realistischen Ansätze.

Ein wesentlicher Teil der Ausstellung ist der Buchmalerei gewidmet, der klassischen Kunst der religiösen Orden, die in dieser Sparte ihre klarsten ästhetischen Ansprüche verwirklichten.

Eine Großausstellung, die überzeugt, die fesselt. Man fährt gewissermaßen ins Mittelalter zurück, ohne mit Objekten überfahren zu werden, wird behutsam eingeführt in die Kunst der Gotik, wird nicht überfordert. Man absolviert keinen Museumsbesuch im üblichen Sinne, man sammelt Erfahrungen, Erkenntnisse.

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