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Fall erledigt — wirklich?

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Man erinnert sich noch an die Wahlkampagne der niederösterrei- schen Sozialisten vor der Landtagswahl im vergangenen Frühjahr. Die ÖVP und ihr Landeshauptmann Maurer regiere das Land Niederösterreich wie einen Erbhof, grollten die Genossen und sprachen von der „Agrarkamarilla“ der Volkspartei im Land um Wien. Je nach Couleur konnte der Wähler damals gustieren, ob er diese Aussprüche für pure Wahrheit nahm oder als maßlose Übertreibung abqualifizieren sollte.

Das ist jetzt rund ein halbes Jahr her und schon wieder ziemlich in Vergessenheit geraten, Bdą man sich in der Vorwoche wieder daran erinnerte. Allerdings kamen die Angriffe auf die etablierte Führungsspitze der Landes-ÖVP nicht von der Konkurrenz, sondern aus den eigenen Reihen. Der schon lange schwelende Konflikt um den Bürgermeister der 6000-Einwohner-Stadt Melk, Wedl, wurde im Handumdrehen zum offenen Krieg, der weit über die Kleinstadt hinausreichende Kreise zog.

Kurt Wedl, 43, Doktor der Staatswissenschaften, Druckereibesitzer und vor mehr als 10 Jahren Senkrechtstarter als ÖVP-Kommunalpoli- tiker, war der niederösterreichischen Parteiführung schon seit längerer Zeit unbehaglich geworden. Diejenigen, die firn näher kennen und ihm nicht übelwollen, sagen, er sei schon immer ein „Einzelkämpfer“ gewesen, ein wenig „Showman“, aber deshalb nicht weniger effizient, wenn es galt, etwas durchzusetzen, wie etwa das Projekt der Donaubrücke. Die Gemeindestube war ihm allerdings bald für seine geistigen Höhenflüge zu eng geworden. So wandte sich Wirt- schaftsbündler Wedl der konzeptiven politischen Tätigkeit zu, allerdings nicht ln der Landesgruppe seiner engeren Heimat, sondern im kammu- nalpolitischen Ausschuß der Bundeszentrale in der Wiener Falkestraße.

Die Unstimmigkeiten begannen während des Präsidentschaftswahlkampfes publik zu werden. Von der SPÖ-Propagandamaschinerie geschickt hochgespielt, war der Name Wedl bald weit über die Grenzen des Gamedndegebietes hinaus bekannt geworden und zu einer Affäre der niederösterreichischen ÖVP hinaufkatapultiert worden. Denn Wedl hatte sich nicht dem plötzlich statt des Niederösterreichers Withalm auf den Schild gehobenen Innsbrucker Bürgermeister Lugger verschrieben. Seine — wie auch die Sympathien vieler ÖVP-ler, die für einen gemeinsamen Kandidaten Kirchschläger eingetreten waren — galten dem damals amtierenden Außenminister der Regierung Kreisky. Und Wedl erfrechte sich sogar, eine Veranstaltung zu besuchen, bei der der Bundeskanzler sprach, aus realpolitischen Gründen und zum Wohl der

Gemeinde, wie er vermeinte. Und die SPÖ-Propaganda kehrte dieses Ereignis wieder in ihrem Sinne hervor.

Die niederösterreichischa ÖVP- Spitze wollte jedenfalls den Fall möglichst schnell erledigen und sich des unbequemen Bürgermeisters entledigen. Sie hatte aber die Rechnung ohne den Wedl gemacht. Denn der offene Brief des Melker Noch- Stadtvaters an ÖVP-Parteiobmann Schleinzer wird die schwarzen Landesbosse noch geraume Zeit nicht zur Ruhe kommen lassen. Die Vorwürfe gegen ÖVP-Landespartedob- mann Prader, seit Jahren als schillernde 1 Politikerpersönlichkeit bekannt, würden — falls sie eihärtet werden können — auch noch nach dem Inkrafttreten, des neuen Strafgesetzes mitsamt seinen allenthalben besprochenen Entkriminalisie- rungstendenzen Tatbestände für eine Verfolgung durch die Gerichte abgeben. Und es kann als sicher gelten, daß die SPÖ nicht zögern wird, die ganze Affäre bis in den letzten Winkel auszuleuchten und breitzuwalzen. Denn die Sozialisten warten nur darauf, losschlagen zu können, haben sie doch gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt Ablenkungsmanöver dringend notwendig: die Schwierigkeiten in der oberösterreichischen SPÖ, die bereits zum Dauerbrenner der innenpolitischen Berichterstattung der Massenmedien geworden sind, müssen langsam übertüncht werden. Denn die nächste Nationalratswahl kommt bestimmt. Indes ist kaum zu erwarten, daß die niederösterreichische ÖVP besondere Lehren aus dem „Fall Wedl“ zieht. Sie hat ihn abgesägt, weil sein Kopf über die Parteilinie hdnausgeschaut hat. Der Begriff der innerparteilichen Demokratie ist das geblieben, wofür ihn viele seit jeher gehalten haben: ein Schlagwort. Fall erledigt.

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