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Fall Klingenberg als Anstoß für Gespräch zwischen Kirche und Grenzgebieten der Medizin

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Der Teufel im Gespräch - nicht etwa auf Grund einer religiösen Erneuerungsbewegung, sondern ausgelöst durch den bedrückenden Tod der Anneliese Michel und den sich daran anschließenden Prozeß in Aschaffenburg. Die Diskussion über Teufel und Besessenheit war kontrovers und ausführlich. Ein Heer von Journalisten vertiefte sich in die Lehre der Kirche von den Dämonen. Theologen machten sich zaghaft an öffentliche Äußerungen, und das Lehramt selbst, die Bischöfe, schienen diejenigen zu sein, die der ganze Vorgang am meisten verschreckt hatte.

Eine erste Bilanz läßt sich ziehen: die Ausführlichkeit, mit der das Thema abgehandelt wurde, aber ebenso auch die Ernsthaftigkeit - immer von einigen Ausnahmen abgesehen - drängt den Schluß auf, daß es auch auf der Seite der der kirchlichen Lehre Fernstehenden keine letzte „Sicherheit“ über eine Nichtexistenz des Teufels gibt. Kardinal Joseph Höffner, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, hat dies denn auch in seiner Erklärung angesprochen. Es gebe, so sagte er, bis heute keine befriedigende Antwort auf die Frage: „Wo ist der Ursprung des Entsetzlichen, Furchtbaren und Unmenschlichen, das in der Geschichte und auch in unserem sogenannten aufgeklärten Jahrhundert gegen den Menschen geschehen ist und bis zum heutigen Tag Stunde für Stunde geschieht?“

So läßt sich also die Frage, ob der Bischof von Würzburg, die Eltern, die Ärzte oder die Exorzisten eine Mitschuld an dem Tode tragen, trennen von der Frage nach dem Bösen, nach dem Teufel. Selbst derjenige, der zu der verständlichen Schlußfolgerung kommt, daß der Exorzismus von Klingenberg eine Kette von Versäumnissen und Nachlässigkeiten ist, kann der Frage nicht ausweichen: wie hältst Du es mit dem Teufel?

Es ist inzwischen zu einem geflügelten Wort geworden: ich glaube nicht an den Teufel, ich glaube an Gott. Aber auch solche Aussagen sind eine Flucht, denn schließt der Glaube an Gott nicht ein, auch an die Existenz böser Geister zu glauben? Die Lehre der Kirche scheint hier eindeutig zu sein, wenn man auf das Vierte Allgemeine Laterankonzil 1215 zurückgreift. Einmal wird hier eindeutig formuliert, daß Gott die beiden Ordnungen der Schöpfung, also die geistige und die körperliche, aus dem Nichts erschaffen habe, und zum anderen heißt es dort: „Denn der Teufel und die anderen bösen Geister sind von Gott ihrer Natur nach gut erschaffen., Aber sie sind durch sich selbst schlecht geworden“. Das Böse ist also nach der Lehre der Kirche keine Grundstruktur des Seins, nicht als solches von Gott erschaffen. Aus diesem Grunde, so betont Kardinal Ratzinger, sei der Teufel auch kein Hauptthema der Verkündigung. Gerade dort, wo der Glaube zerfalle, trete wieder die dämonische Sicht des Wirklichen hervor und erscheine das Böse als im Grunde des Seins selbst enthalten. Nirgendwo werde das Böse so eingeengt, wie in einer Sicht, die aus dem Glauben komme.

Es scheint eine der vordringlichsten Pastoralen Aufgaben der Kirche zu sein, diesen Aspekt des „Teufelsglaubens“ besonders stark herauszustellen. Denn an „Nachfolgetätern“ wird es nicht fehlen; nicht an solchen, die sich besessen fühlen und nicht an denjenigen, die sich selbst für berufen halten, mit dem Teufel in der Form des Exorzismus umzugehen. Eine mögliche Besessenheit ist ebensowenig eine Glaubensfrage wie der Exorzismus selbst. Dies hätte allerdings schon früher und deutlicher von den Bischöfen gesagt werden müssen.

Will man aus der Bibel alle Stellen über den Teufel tilgen, man müßte viele Blätter herausreißen, man müßte das Neue Testament verändern. Das scheint unbestritten. Unabhängig davon ist die Frage nach dem Mißbrauch des „Teufelsglaubens“. Wenn bei einer angeblichen Besessenheit in der Schweiz einer Frau der Teufel mitteilt, der wahre Papst werde in Rom gefangen gehalten und der öffentlich auftretende Papst sei ein falscher Papst; wenn der Teufel zu berichten weiß, der suspendierte Erzbischof Lefebvre vertrete die wahre Lehre und dies alles auch noch auf Tonband gespeichert wurde und an diesem Vorgang auch der in Klingenberg tätig gewordene Pater Renz beteiligt war, dann ist Mißbrauch des Exorzismus wohl ein sehr gelinder Ausdruck.

Der von 1614'stamrrienden Fassung des Exorzismus läßt sich dies alles nicht anlasten, denn sowohl in Klingenberg als auch bei dem zitierten Vorgang in der Schweiz sind entsprechende Bestimmungen verletzt wor-

den. Aber dennoch scheint eine Uber-arbeitung angebracht. Man wird sicher bald einmal nachfragen dürfen, ob sie auch in Angriff genommen wurde. Oder hofft man darauf, daß sich der Sturm bald gelegt haben wird? Eine solche Spekulation könnte langfristig großen Schaden anrichten, da sie Unsicherheit und Unglaubwürdigkeit hinterläßt.

Kardinal Höffner hat die Richtung für eine Neufassung in seiner Erklärung bereits angegeben. Gewisse Bestimmungen seien schärfer zu fassen. So müßten vor der Annahme eines Falles von Besessenheit alle heutigen Möglichkeiten der Medizin und Psychiatrie voll ausgeschöpft werden. Die medizinische^ Behandlung dürfe nicht unterbrochen werden während des Exorzismus. Und im Blick auf Klingenberg sagt Höffner wörtlich: „Wird ärztliche Beobachtung und Betreuung von Betroffenen oder ihren Angehörigen abgelehnt, dann darf der Exorzismus nicht vollzogen werden.“ Auch eine Neufassung wird nicht gegen Unfug schützen - er ist dann aber nicht „amtlich“ genehmigt.

Der Hamburger Psychologe Peter R. Hofstätter meint, bei einem Uberblick

über die Vielfalt psychotherapeutischer Ansätze und Hypothesen sei es kaum gerechtfertigt, den Exorzismus prinzipiell auszuklammern. Allerdings, meint Hofstätter weiter, dürfe das „Organische“ dabei nicht übersehen werden. Wenn denn nun in diesen Grenzfällen menschlicher Existenz die Medizin ebenso stark gefordert ist wie der Glaube an geistige Kräfte, dann ist auch im Fall der Anneliese Michel die Frage erlaubt, wie die Medizin angesichts dieses menschlichen Schicksals zu beurteilen ist. Reicht es aus, einen Menschen mit Hilfe von Medikamenten „still“ zu setzen? Haben hier alle Ärzte verantwortungsvoll gehandelt oder war Anneliese Michel nur ein Routinefall?

Es deutet alles darauf hin, daß die Medizin zu früh aufgehört und der Exorzismus zu früh begonnen hat. Die Medizin hatte das junge Mädchen offenbar aufgegeben, wer sollte ihm noch helfen können?

Dies alles entschuldigt nichts, aber es erklärt einiges. Vielleicht könnte Klingenberg auch ein Anstoß sein zu einem intensiven Gespräch zwischen den Grenzbereichen der Medizin und der Kirche. Beide können voneinander lernen, wenn sie sich ihrer eigenen Begrenztheit bewußt sind. Und Klingenberg hat wohl deutlich gezeigt, daß es diese Grenzen gibt. Eine Kirche, die überzeugt ist von der Wahrheit ihrer Lehre, braucht die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft nicht zu scheuen.

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