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„Fall Wallraff“ und wir

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Des Pudels Kern, kam, voll errötet, erst ganz zum Schluß zum Vorschein. Zwei Stunden Diskussion im Club 2 - wohl eine der besten bisher, das sei vorweggenömmen - wären nur für den Insider interessant gewesen, wenn nicht in letzter Phase die Entlarvung dessen stattgefunden hätte, was hinter der umstrittenen „Aktion Wallraff’ gestanden war und was auch über die Kontroverse um das deutsche Massenblatt für Österreich von entscheidender Bedeutung ist: der Griff der Linken nach jenen Medien, in denen sie noch keinen Einfluß haben; der Griff an die Gurgel jener Blätter, die nur nach den Konzeptionen ihrer Herausgeber, nicht nach den Intentionen verwaschener „gesellschaftlicher Institutionen“ gestaltet werden.

Ein kurzer Rückblick für die, die nicht den Füm am Mittwoch, die Diskussion am Donnerstag verfolgt haben: Der deutsche Journalist Günter Wallraff, schon bekannt durch ähnliche Aktionen in Industriebetrieben, arbeitete vier Monate in der Lokalredaktion der „Büd-Zeitung“ in Hannover unter falschem Namen mit dem eingestandenen Ziel zu enthüllen, was dort an „Manipulation“ geboten werde, zu zeigen, wie dort die Redakteure zu zynischen Volksverdummern umgeprägt werden. Seine Erlebnisse in diesen vier Monaten wurden - gesponsert vom Westdeutschen Rundfunk Köln - gefilmt. Ein Buch darüber hat inzwischen in mehreren Auflagen 180.000 Stück erreicht Der angegriffene Springer-Verlag stieg erst dann mit Gegenmaßnahmen ein, als der „Stern“ auf zehn Seiten die Affäre hochspielte. Von 30 Behauptungen des Autors, die vom Gegner gerichtlich beeinsprucht wurden, dürfen 29 nicht mehr erhoben werden. Der Film wurde wegen seiner Mängel - nicht nur technischer Art - vom (zahlenden) WDR nicht zur Aufnahme freigegeben. Er erregt seither bei Aufführungen in den Nachbarstaaten Deutschlands nur wegen der begleitenden Umstände ein völlig unberechtigtes Aufsehen. Denn beweisen, was Wallraff beweisen sollte, kann er nur sehr unvollständig.

Also eigentlich doch nur ein innerdeutscher Sturm im Wasserglas, wenn auch letzten Endes ausgetragen zwischen zwei Zeitungsgiganten - Sprin- ger-„Büd“ gegen „Stern“? Was geht das uns an?

Europas größtes Massenblatt braucht nicht unsere Verteidigung, dazu trennt uns zuviel. Seine Rolle als Buhmann der Linken hat es sich weidlich verdient. Immerhin bestätigen täglich fünf Millionen Käufer die Vorstellungen seiner Herausgeber.

Daß die Gegner dagegen anrennen, ist legitim. Nicht legitim sind dagegen die strafrechtlich einzuordnenden Methoden, die Wallraff benützt - das war ihm bewußt und das hat er auch schließlich, danach befragt, zugegeben. Hier muß ich vor allem „Ku- rier“-Chef Karl Löbl widersprechen, der, sonst ein harter Diskussionspartner, die Notwendigkeit verteidigte, allenfalls auch unter falscher Flagge zu recherchieren, wenn man sonst nicht an Informationen herankäme. Dem kann nicht scharf genug entgegengetreten werden.

Aber Wallraff wollte ja noch mehr: In einer Passage des Films, die in der Diskussion unbeachtet blieb, beklagte er weinerlich die Bosheit des bearbeitenden Redakteurs, der es nicht durchgehen habe lassen, daß sein Reporter „gesellschaftskritische“ Elemente - ohnehin nur ganz zahm - in seine Meldung eingebaut hatte. Was bildet sich Herr Wallraff eigentlich ein? Er kannte die Linie der „Bild-Zeitung“, diese Linie wurde ihm ja auch im Aufnahmegespräch deutlich genug zum Bewußtsein gebracht. (Sonst hätte er seine Aktion ja gar nicht gestartet.) Er mußte daher auch wissen, wo seine Grenzen in der Berichterstattung lagen. Denn jedes Blatt setzt seine Grenzen der Berichterstattung. Ohne zu gestatten, daß sie vom nächstbesten Reporter außer Kraft gesetzt werden, weil er gerade die Absicht hat, die Gesellschaft zu verändern. Daß auch zwischen Herausgeber und Redakteuren ein Vertrauensverhältnis herrschen muß, soll die gemeinsame Aufgabe erfüllt werden, geht offenbar in ein klassenkampfgeschultes Gehirn nicht ein. Schon eher die Wahnvorstellung, daß 500 Redakteure eines Erfolgsblattes durch die Bank geknechtete, vergewaltigte, gegen ihre innere Überzeugung handelnde oder von dieser überhaupt befreite Kreaturen seien.

Hier aber liegt der Punkt, der uns unmittelbar angeht. Denn auch in Österreich geistert das Schlagwort von der „inneren Pressefreiheit“ durch einschlägige Publikationen, mit dem vorgegebenen Ziel, jedem Mitarbeiter das Recht einzuräumen, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen. Die Frage sei erlaubt: Was täte die Führung der „Arbeiter-Zeitung“, wenn sich ein neu aufgenommener Redakteur als „Rechter“ entpuppen würde und schreiben wollte, daß am Taus-Plan zur Arbeitsplatzsicherung doch das eine oder andere Brauchbare dran sei? Doch wohl nichts anderes als das Arbeitsverhältnis kurzfristig unter Wahrung aller Ansprüche zu lösen und in Hinkunft um so schärfer aufzupassen, daß man sich keine Laus in den Pplz setzt.

Aber Günter Wall raff wußte zum Schluß auch noch das Rezept, wie man der „ungeheuerlichen Manipulation des Lesers“ durch die Kommerzpresse entgehen könne: Die öffentlich-rechtliche Zeitung (neben dem ohnehin bereits vorhandenen öffent- lich-rechtlichen Rundfunk), getragen von den „gesellschaftlichen Kräften“, sprich (vermutlich) Parteien und Gewerkschaften. Glaubt Wallraff wirklich, daß er in solcher Konstruktion „gesellschaftskritisch“ - dann doch wohl kritisch gegenüber Parteien und Gewerkschaften - auftreten könnte?

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