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Fallen für wen?

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(Burgtheater, Wien; „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard)

I. Die Kunst des Skandals: Mit dem Satz, die Deutschen seien den Wienern in die Falle gegangen, wurde im deutschen TV, das am Abend der Uraufführung laufend aus Wien berichtete, das Fazit gezogen. Dabei war man doch gar nicht den Wienern, sondern Claus Peymann in die Falle gegangen, die er den Österreichern gestellt hatte. Die Erregung eines ganzen Landes als Teil einer Inszenierung: Das war sein größtes Regiekunststück.

II. Die gebadete Katz': Das Tier, von dem wenig in der Hand bleibt, wenn es naß wird, ist die Metapher für den ganzen Anlaß wie für das Stück an sich. Die erste Szene kann insofern als dramaturgischer Kunstgriff gelten, als sie die Protestierer eine Stunde auf ihre Stichworte warten läßt, aber auch als akzeptable, eher schnell konsumierbare Prosa. Eineinhalb Stunden zelebriert, wirkt sie lähmend. Anneliese Römer steht auf verlorenem Posten.

In Szene drei verkommt die Schimpf-Virtuosität zum Gebrabbel, keine Steigerung, nur ermüdendes Auslaufen, der starke Stückschluß (Marianne Hoppe als Witwe des Professors, der sich aus dem Fenster gestürzt hat, fällt, vom Nazi-Geschrei, das nur sie hören kann, gepeinigt, vornüber) wirkt nach vier Stunden nur noch als Erlösung.

III. In die eigene Falle: Gingen Bernhard und Peymann sich selbst und einander so in die Falle, daß sie schließlich jeden „Hel-denplatz“-Satz für Teil eines unantastbaren Meisterwerks hielten? Oder wäre ein kürzeres Stück zu unansehnlich für die Buchausgabe? Sie wird in Wien verkauft wie warme Semmeln.

IV. Der bittere Kern: In Szene zwei räsopiert der Bruder des toten Professors auf dem nebligen Heldenplatz. Er erklärt seinen Nichten (Kirsten Dene, Elisabeth Rath), warum er nach Wien zurückgegangen ist, warum er gegen fast alles ist, warum er trotzdem gegen nichts mehr protestiert, er wettert gegen Österreich und gegen die Welt. Er ist der Resignierte, der nichts Heutiges mehr gelten läßt, der Archetyp des zornigen alten Mannes, der alles draufgehen sieht, was er einst liebte, und alles scheitern, wofür er stand.

Hier, in der enttäuschten Liebe, hat auch die besondere Wut der ins Persönliche gehenden Angriffe auf die Sozialdemokratie ihr psychologisches Motiv. Hier fallen die meisten der „gewissen“ Sätze, trotzdem wird hier am wenigsten protestiert. Was beim Lesen der Vorabdrucke als plumpe Übertreibung mißverstanden wurde, entpuppt sich in der atemberaubenden Gestaltung Wolfgang Gassers als Drehpunkt, an dem der Alte plötzlich komisch und bemitleidenswert wird, und einige der entsetzlichsten Dinge, die er über Österreich sagt, sind leider wahr. Diese Szene zählt für mich zum besten, was Bernhard je geschrieben hat.

Um die Jahrhundertwende, nach dem Untergang der Monarchie, gaben am überzeugendsten jüdische Dichter dem österreichischen“ Lebensgefühl Ausdruck. Jetzt beschreibt ein nichtjüdischer Dichter, wie sich Juden, nicht alle, doch viele, heute in Wien fühlen. Das ist nicht nur legitim, sondern höchst notwendig und Bernhards Beschreibung jüdischer Befindlichkeit bestürzend genau. Wien muß sie nicht nur aushalten, sondern akzeptieren, sich ihr stellen. Kann es das nicht, ist ihm nicht mehr zu helfen.

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