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Fallt Husak hinauf?

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Die sowjetische Parteiführung ist sich noch immer nicht darüber einig, wer in der Tschechoslowakei als Statthalter des Kreml die Zügel halten soll. Am 30. März 1973 endet die Amtszeit des Staatspräsidenten Ludvik Svoboda. Bis dahin will der Kreml entscheiden, wer sich das Vertrauen der Sowjetunion „verdient“ hat.

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Die sowjetische Parteiführung ist sich noch immer nicht darüber einig, wer in der Tschechoslowakei als Statthalter des Kreml die Zügel halten soll. Am 30. März 1973 endet die Amtszeit des Staatspräsidenten Ludvik Svoboda. Bis dahin will der Kreml entscheiden, wer sich das Vertrauen der Sowjetunion „verdient“ hat.

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Der gegenwärtige Parteichef, Doktor Gustav Husäk, hat nicht nur in der Tschechoslowakei selbst, sondern auch in Moskau Feinde. Die orthodoxen Kommunisten werfen ihm vor, er sei nur zögernd gegen die „Konterrevolutionäre“ in der Tschechoslowakei vorgegangen und immer zu „weich“ gewesen. So hat sich Husäk bisher dem Druck der dogmatischen Gruppe Indra-Hoffmann-Bilak-Chnoupek widersetzt und dem Wunsch der Leitung des Staatssicherheitsdienstes nach der Verhaftung von führenden Persönlichkeiten des Prager Frühlings von 1968 widersprochen. Vor allem der ehemalige Parlamentspräsident Josef Smrkovsky, einer der Ideologen des Prager Frühlings, Vaclav Slavik, und das ehemalige Präsidiumsmitglied der KPTsch, Dr. Frantisek Kriegel, werden vom Staatssicher-hertsdienst als „Klassenfeinde“ angesehen.

Es scheint, daß die Dogmatiker auch unter den sowjetischen Generälen, die das Kommando über die in der Tschechoslowakei' stationierten Truppen innehaben, Anklang gefunden haben. Im Hauptquartier der Sowjets, im mittelböhmischen Städtchen Milovice, haben in der letzten Zeit geheime Treffen zwischen Husäks Opponenten und sowjetischen Militärs stattgefunden, an denen auch der Ministerpräsident der Tschechischen Sozialistischen Republik, Josef Korcäk, der als eventueller Nachfolger des CSSR-Premiers und Husäk-Anhängers Lu-bomir Strougal gilt, teilnahm.

Aber nicht nur ein großer Teil der Parteidogmatiker unterhält geheime Verbindungen mit den Sowjets. Wie aus informierten Prager Kreisen zu hören war, haben die Sowjets auch dem von Alexander Dubcek gestürzten Partei- und Staatschef Antonyn Novotny nach Milovice eingeladen.Von hier aus flog Novotny mit einer Kurienmaschine der sowjetischen Luftwaffe nach Moskau, wo er sich auch mit dem sowjetischen Parteichef Leonid Breschnjew traf. Novotny, der als einer der stärksten Widersacher Husäks gilt, hat in Moskau den gegenwärtigen Parteisekretär beschuldigt, sich mit Karrieristen, die ihm hörig seien, umgeben zu haben. Das Fazit sei nicht nur ungenügende Parteiarbeit, sondern auch ein bevorstehendes Wirt-schaftschaos. Husäk, der eine Politik führen wollte, die ihm bei der Bevölkerung Sympathien einbringen sollte, hat die Devisenfonds der Tschechoslowakei fast zur Gänze ausgeschöpft. Dafür wurden aus dem Westen Konsumwaren eingeführt, um die Bevölkerung günstig zu stimmen. In zwei, drei Jahren werden aber nach Novotnys Meinung, die er Breschnjew vortrug, die ungedeckten Wechsel gezahlt werden müssen. Die wirtschaftliche Krise, die dann folgen werde, könne nur die Antipathien der Bevölkerung gegen die Sowjetunion schüren. Darum schlug Nowotny vor, Husäk vom Sessel des Generalsekretärs der Partei zu entfernen. Wenn Moskau aber Husäk aus politischen Gründen noch halten wolle, dann möge es ihn auf den politisch bedeutungslosen Posten des Staatspräsidenten als Nachfolger Svobodas abschieben.

Husäk, der von der Aktivität seiner politischen Gegner informiert ist, hat eine Gegenoffensive gestartet. Nach seinen Vorstellungen sollte entweder das Amt des Staatspräsidenten mit der Funktion des Generalsekretärs der KPTsch in Personalunion vereinigt werden, oder aber das Amt des Staatspräsidenten, das unter allen osteuropäischen Staaten nur von der Tschechoslowakei aus Traditionsgründen beibehalten wurde, sollte abgeschafft werden und einem Staatsrat (Obersten Sowjet) Platz machen.

Wenn aber nicht alles täuscht, will sich der Kreml gerade in diesem Streit möglichst passiv verhalten. Der gegenwärtige Zustand, in dem Husäk im Parteipräsidium bei allen wichtigen Fragen von den Dogmatikern überstimmt wird, scheint der Politik Breschnjews am besten zu entsprechen. So kann Moskau den tschechoslowakischen Parteichef mit Hilfe seiner Vertrauten politisch erpressen und gleichzeitig für seine Zwecke ausnützen. Auch im Streit um die Person des Staatspräsidenten scheint Moskau schon eine Lösung gefunden zu haben: Der an Altersschwäche leidende Ludvik Svoboda soll für weitere fünf Jahre zum Staatsoberhaupt gewählt werden. Das Beispiel des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck, der in seinen letzten Jahren auch nicht mehr die Staatsgeschäfte führen konnte und zu einem willfährigen Werkzeug Moskaus in Ostdeutschland wurde, ist für den Kreml auch im tschechischen Fall bedeutungsvoll.

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