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FALSCHE ÄNGSTE, ECHTE PROBLEME

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„Bevölkerungsexplosion": Jeder Zeitungsleserkenntdieses mittlerweile alltägliche Wort. Oder: „Die Bevölkerungsbombe tickt." Nur in Extremfällen fällt uns das Unmenschliche, Militante der Sprache auf, in der da über Menschen geredet und geschrieben wird.

Unwidersprochenes Statement auf einer Tagung der Schweizer Vereinigung „Ecologie et Population" im November 1989: „Ist es nicht eine Anmaßung der Dritten Welt, daß sie ihre Gebärmaschinen auf Hochtouren laufen läßt und dann uns dafür verantwortlich macht?"

Drückt sich darin Angst aus? Viel spricht dafür. Angst wovor? Ums eigene Wohlergehen? Um' die Menschheit als Ganzes? Um die Dritte Welt?

Auffallend: Die Panik ist neu, die Fakten sind längst bekannt. Bereits im Sommer 1964 kam ein Kolloquium der Hochschule St. Gallen zum Ergebnis, die Weltbevölkerung des Jahres 2000 werde 6,2 Milliarden betragen und allein in den neunziger Jahren um eine Milliarde wachsen. Schon damals wurden die Unsicher-heitsfaktoren der Schätzung betont -sie erwies sich trotzdem als verblüffend realistisch.

1975 erklärte der FAO-Mitarbeiter Heinrich von Loesch, es sei die Errungenschaft der Zeit, „den Hunger zu strecken" und akute Hungersnöte in chronische Unterernährung zu verwandeln. Wie heute wuchs die Menschheit damals um sechs Millionen pro Jahr. Die mittlere, damals als realistisch geltende UNO-Prognose für den Höchststand im nächsten Jahrhundert lautete auf 13 bis 14 Milliarden (heute: 11,6 Milliarden).

Was sich tatsächlich veränderte, ist die Beurteilung der zu erwartenden Probleme. 1964 wie 1975 stand die Ernährung im Vordergrund. Heute ist man optimistisch, auch zehn Milliarden ausreichend ernähren zu können. Selbst eine genügende, gemessen an der Verschwendung der Industriestaaten freilich bescheidene Energieversorgung sollte ein lösbares Problem darstellen (siehe Beitrag auf der folgenden Seite).

Dafür sieht man riesige ökologische und soziale Probleme. Sowenig man sich 1964 die Produktion von genug Nahrung vorstellen konnte, kann man sich heute vorstellen, wie soziale Sicherheit, medizinische Versorgung, vor allem aber Bildung für die unablässig wachsende Menschheit bereitzustellen wären.

Nun mag stimmen, daß die Angst vor allem von der Angst um den eigenen Wohlstand herrührt, doch darf deswegen nicht die Fülle der Probleme verniedlicht werden. Neben den politischen, sprich: Erschütterung der labilen „Weltordnung", gibt es vor allem zwei Probleme, für die Lösungen weitgehend fehlen.

Problem eins: Die Großstädte wachsen überproportional. Sie werden zu Megastädten und riesigen Slumregionen, während die Landwirtschaft in vielen Entwicklungsländern verfällt. Es gibt dafür nicht einmal den Ansatz einer Lösung. Problem zwei: Der Bevölkerungsdruck geht in vielen Ländern zu Lasten der dahinschwindenden Wälder. Nurzwei Beispiele: In Lateinamerika treiben Vieh-züchterdie Kleinbauern in den Regenwald, um mehr Fleisch für Europa und USA produzieren zu können.

Ein indisches Handelsembargo sperrte den Ke-rosintransport nach Nepal - die Bauern mußten zum Kochen wiederum Brennholz in die Wälder, das Ergebnis mühsam in Gang gebrachter Waldrettungsaktionen war in Monaten kaputt...

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