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Falsche Schlüsse

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Als ledige Mutter und Studentin, die sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen muß, kann ich den Artikel von Christof Gaspari nicht unwidersprochen stehen lassen.

• Umfrage 1983, nach der 35 Prozent der befragten Frauen sich durch eine Strafandrohung von der Abtreibung hätten abschrek- ken lassen: Hat man diese Frauen auch gefragt, welche (Hilfs-)

Maßnahmen, zusätzliche Informationen, welche Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse (Einstellungen… ) dazu geführt hätten, Abstand von diesem Schritt zu nehmen? Wäre dann vielleicht ein höherer Prozentsatz zustande gekommen?

• Es ist unredlich, höhere Geburtenraten allein auf einen einzigen Faktor, nämlich die Bestrafung von Abtreibungen, zurückzuführen.

• Gaspari nimmt Bezug auf andere Straftaten: Bei allen angeführten Delikten geht man davon aus, daß der Täter bekannt ist. Und die Rechtsprechung nimmt auch hier Rücksicht auf graduelle Unterschiede in der Bewertung der Strafwürdigkeit: Allein die Unterscheidung im Bereich der Verbrechen gegen Leib und Leben (zum Beispiel fahrlässige oder vorsätzliche Körperverletzung, mit Todesfolge, Berücksichtigung eines Ausnahmezustandes …) möge zu denken geben! Schon aus diesem Grund ist ein derart simpler Vergleich, wie er in diesem Artikel angestellt wurde, nicht zulässig.

Das Faktum „Abtreibung“ ist außerdem ein Sonderfall: Können Sie, Herr Gaspari, sagen, wer der Schuldige ist? Wenn das nämlich so einfach ist, hätten wir uns die vielen Untersuchungen zu diesem Thema ersparen können, die versucht haben, die Hintergründe zu erhellen.

„Abtreibung“ hat Geschichte, ist kein isoliertes Geschehen, das für sich zu betrachten ist. In welcher Situation wurde ein Kind gezeugt, wie hoch war der Bewußtheitsgrad beider Partner, daß Sexualität etwas mit Kinderkriegen zu tun haben könnte… — es ist beinharte Realität, daß man solche Fragen beachten muß! So wird deutlich, daß dem Thema „Erziehung, Bewußtseinsbildung in den Bereichen Liebe, Partnerschaft, Sexualität“ von allen gesellschaftspolitisch relevanten Kräften mehr Aufmerksamkeit und Energie gewidmet werden muß als bisher.

• Gaspari spricht von der Existenz des Kindes im Mutterleib, durch die das Selbstbestimmungsrecht der Frau eingeschränkt werde. Dies ist meiner

Meinung nach falsch formuliert. Zu diesem Zeitpunkt bestimmt die Frau ja nicht mehr nur über sich selbst, sondern auch über eine weitere Person.

Streng genommen, hat die Frau selbst in dem Moment der Empfängnis die Möglichkeit und das Recht, über sich selbst zu bestimmen, aufgehoben. Diese These wird auf breiten Widerspruch stoßen, dessen bin ich mir gewiß. Denn zum einen ist das Verständnis des ungeborenen Kindes als einer eigenständigen Person mit Recht auf Leben und auf Wahrung der Menschenwürde noch immer sehr umstritten. Zum anderen wird hier wiederum die Frage der Bewußtheit der Zusammenhänge von Sexualität und Fortpflanzung, die Bedeutung der Hinführung des jungen Menschen zur vollen, reifen Persönlichkeit relevant. Voraussetzung für die Anwendung meiner These ist also das Bewußtsein über die Bedeutung von „Schwangerschaft“. Und dies ist eben vielfach nicht gegeben!

• Strafe als „Orientierungshilfe“? — Gasparis eindimensionale Betrachtungsweise des Problems „Abtreibung“ (die im Kern seiner Aussagen enthalten ist, auch wenn er sich bemüht, dies durch Antippen weiterer Dimensionen zu verschleiern), muß wohl folgerichtig zu diesem Schluß kommen.

Ich komme aber, aus meiner mehrdimensionalen Sichtweise des Problems heraus und als Christin, zu dem Schluß, daß man dann wohl auch die Unterlassung von Maßnahmen, die eine Entscheidung für das Leben begünstigen, mit Strafsanktionen belegen müßte.

Denn als Christin stehe ich wohl nicht nur vor einer Reihe von Verboten, sondern vor allem auch vor einer Reihe von Geboten, vor allem aber dem Gebot der Nächstenliebe. Und auch das „normale“ Strafrecht kennt den Begriff der „unterlassenen Hilfeleistung“!

Wenn man also, wie ich versucht habe, noch andere Dimensionen einbezieht, das heißt in ihrer Wirkungsvielfalt berücksichtigt, muß man doch feststellen, daß noch sehr viel zu tun ist beziehungsweise unterlassen wurde: im sozialpolitischen Bereich erziehungspolitische Maßnahmen, aber auch im Bereich der Begegnung von Mensch zu Mensch.

Dies alles ist ein Langzeitprogramm. Die Realisierung dieses Programms hat bereits begonnen.

Gleichermaßen setzen aber bereits die ersten Ermüdungserscheinungen im Anschluß an die anfängliche Euphorie, Begeisterung ein. Und ich befürchte sehr, daß Artikel wie die von Gaspari nicht geeignet sind, neuen Mut zu machen, sondern Gefühle der Resignation zu verstärken.

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