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Falsche Signale

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Die Ausschußberatungen im Parlament über den Text des Volksbegehrens zum Schutz des Lebens sind nach der Sommerpause wieder aufgenommen worden. Experten werden gehört; die ganze Materie, in den Monaten vor der Beschlußfassung der Strafrechtsreform, vor und während der Unterschriftensammlung heftigst diskutiert, wird erneut aufgerollt. Wozu, wenn doch die eine Seite versichert, an der Fristenlösung werde nicht gerüttelt werden, und die andere ebenso apodiktisch erklärt, sich nie mit der Freigabe der Abtreibung abfinden zu können?

Es wäre unsinnig, ja gefährlich für Staat und Gesellschaft, einander nur Sturheit, falsches Demokratieverständnis vorzuwerfen, und schimpfend zur Tagesordnung überzugehen. Auch ohne sich mit dem jeweils unabdingbaren Standpunkt der Gegenseite abzufinden, gibt es zwischen den Fronten doch einen gewissen Raum der Ubereinstimmung, in dem auch gemeinsam versucht werden sollte, das Problem der Abtreibungen von einer anderen Seite her aufzurollen und zum mindesten zu mildern.

Justizminister Broda zitierte in einer Enquete die Feststellung des Justizausschusses: „Es ist unbestritten, daß der Schwangerschaftsabbruch weder eine gesellschaftlich wünschenswerte nofh eine medizinisch empfehlenswerte Methode der Geburtenregelung oder -kontrolle ist. Ebenso kann aber angesichts einer geschätzten Zähl von 30.000 bis 100.000 illegalen Abtreibungen pro Jahr nicht bestritten werden, daß auch die Androhung hoher Strafen kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Abtreibung ist.“ Und aus der Regierungsvorlage selbst: „Man würde sich der Verpflichtung einer umfassenden Sozialleistung entziehen und das Strafrecht überfordern, wenn man erwartete, daß es die Schwangerschaftsunterbrechung allein und auf sich gestellt eindämmen könnte.“

Beide Feststellungen werden wohl auf allgemeine Zustimmung stoßen. Es sei auch keineswegs negiert, daß die Regierung — wohl nicht zuletzt angestachelt durch den Druck des Volksbegehrens — eine Reihe jener flankierenden Maßnahmen gesetzt hat, die als Ergänzung der strafrechtlichen Lockerung für notwendig erkannt worden waren. Trotzdem aber wird noch vieles folgen müssen.

Zunächst einmal müßte es einwandfreie Erhebungen geben, wie es nun wirklich mit den legalen Abtreibungen steht. Die vom Boltz-mann-Institut für Geburtenregelung und Schwangerschaftsbetreuung ermittelte Zahl von 65.000 Abtreibungen jährlich in Österreich beruht auf statistischen Kalkulationen, nicht auf detaillierten Recherchen. In fünf Wiener städtischen Krankenhäusern wurden im ersten Jahr der Freigabe fast 5000 Abbruche durchgeführt, mit den privaten Kliniken waren es 8000. Wenn man annimmt, daß sich mindestens die Hälfte aller Abtreibungen auf Wien konzentrieren dürften, so muß geschlossen werden, daß nach wie vor die überwiegende Mehrzahl in ärztlichen Ordinationen erfolgt — ohne daß diese in jedem Fall entsprechend ausgerüstet sind.

Zweitens fehlt es an jeder Art von Detailforschung: Warum wollen die Frauen ihr Kind nicht haben? Wieviele kommen zum zweiten, zum dritten, zum vierten Mal auf den Behandlungsstuhl des Gynäkologen? Bei wie vielen ist es die erste Schwangerschaft — deren Abbruch die größte Folgenquote aufweist?

Für die Beantwortung dieser Fragen die nötigen Unterlagen zu sammeln, würde aber voraussetzen, nicht jenen Arzt, der dann die Abtreibung durchführen soll, mit der Beratung zu beauftragen. Es müßte der Besuch einer Beratungsstelle bindend vorgeschrieben werden, wo allerdings dann anderes geschehen müßte, als die Zuweisung in die nächste Abtreibungsklinik. Hier müßte solange wie möglich um das Leben des gefährdeten Kindes gerungen, müßte jede Art von Hilfe angeboten werden, dürfte der Weg in die Klinik nur in echten Notfällen freigegeben werden.

In der Diskussion wurde auf das französische Beispiel der Fristenregelung hingewiesen. Dort ist aber festgelegt, daß nicht der durchführende Arzt die Beratung übernehmen darf, daß die Frau über die Hilfsmöglichkeiten aufgeklärt werden muß, daß nur in einer Klinik eingegriffen werden darf, daß alle Fälle zu melden sind. Das französische Gesetz ist eine „loi dissua-vise“, ein Gesetz, das abraten soll. Ihre Prinzipien zu übernehmen, würde wenigstens ein Entgegenkommen erkennen lassen.

Die Kirche kann sich mit keiner Art von Indikation abfinden. Aber auch sie läßt widerstreitende Interessen gegeneinander abwägen und anerkennt die Notfälle einer Gefährdung des Lebens der Mutter als Strafausschließungsgrund.Der Grundsatz des Schutzes für das ungeborene Leben aber muß gesichert sein, etwa durch eine verfassungsrechtliche Verankerung. Der strafrechtliche Schutz müßte dort unter Berücksichtigung der Notlage der Mutter so abgegrenzt werden, daß die Schutzwirkung erhalten bleibt.

Der SPÖ-Abgeordnete Heinz Fischer meinte einmal, er verstehe, daß die Katholiken durch das falsche Signal der Fristenlösung gereizt worden seien. Es wäre Zeit, die Signale wieder richtig zu stellen, nicht nur um diese Reizung abzustellen, sondern um endlich wirklich das Wissen um die negativen Aspekte der Abtreibung im Bewußtsein unserer Mitmenschen, vor allem der Jugend, fest zu verankern. Denn über diese Aspekte sind wir uns doch einig — oder nicht?

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