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Falsche Therapie mit dem Nihilismus

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'Der Vortrag von Kardinal Joseph Ratzinger in Wien (FURCHE 49/1987) hatte unmißverständliche Akzente gesetzt. Wahrscheinlich ist es der routinierten Gleichgültigkeit des Wiener Milieus zuzuschreiben, daß die Rede des Kardinals ohne Folgen bei jenen blieb, die daraus zu lernen gehabt hätten.

Gewiß stimmte man dem Kardinal zu, daß die Lust an der Negation das Merkmal unserer Zeit ist. Sicher folgt man ihm beim Gedanken, daß der verbreitete Drogenkonsum ein verfehlter Protest gegen die Tatsachen und ein Ersatz für Askese ist; ebenso wird man die Analyse teüen, daß der Terrorismus unserer Gegenwart einem pervertierten Messianismus entstammt. Ratzinger wird man aber ab dem Punkt nicht mehr verstanden haben, zumindest fehlen hiefür Anhaltspunkte in der Berichterstattung, daß alle die genannten Phänomene den Versuch kennzeichnen, die Verheißungen Gottes im Alten und Neuen Testament nun ohne Gott einlösen zu wollen.

Die Darstellungen waren also keineswegs eine Predigt im Festsaal eines Bankhauses, sondern auf wissensoziologischer Grundlage hatte Kardinal Ratzinger Themen genannt, die in Österreich liebend gern unterbelichtet bleiben. Wenn er also vor dem Verlust des Glaubens warnte, so sah der Kardinal darin nicht nur eine generelle Tendenz, die man in Österreich mit Toleranz verwechselt, sondern stellte auch klar, daß die Wende zur Sentimentalität im Glauben selbst eine Art Genußmittel büdet, die den Sinn verfehlt. Schließlich läuft diese Wende in die moderne Barbarei des Sektierertums hinein.

Die Folge hievon ist, daß sich die individuell-ethischen Bindungen so weit gelockert haben, daß das Handeln der Menschen sich immer mehr von den „Werten“ abzuheben scheint. Damit sind wir an der Abschaffung“ des Menschen schuldig, wofür Kardinal Ratzinger die Quellen nannte.

Spätestens beim Hinweis auf Juvenal, daß es Werte gibt, für die es sich auch zu sterben lohnt, werden sich viele von den Ausführungen des Kardinals endgültig getrennt haben. Und dennoch müßte der Vortrag gerade in den Konsequenzen für die Politik ernsthaft diskutiert werden.

Betrachtet man die prekäre Situation der Volkspartei, so wird man nicht umhinkönnen, festzustellen, daß die Positionen Ratzingers dort nur mehr zu einem geringen Teü angenommen werden. Hier wäre es nun zur Klärung der Standorte höchste Zeit, daß die Gegner der Analysen Ratzingers endlich ihre Gründe angeben. Es genügt eben nicht, daß die Milieureste des österreichischen Konservativismus sich auf die Position des therapeutischen Nihilismus zurückziehen, der dieses bekannte Chaos verursachte.

Also sind die Schlußfolgerungen aus dem Vortrag, daß die ö VP seit langem und in mehrfacher Hinsicht in ihren Zielen irrte. Gerade das „größte politische Talent“ Erhard Busek steht für eine Entwicklung, die als Endpunkt nur den Konkurs hat. Dieser wird dadurch erreicht, daß die ÖVP sich ganz gegen die eigene Strukturgeschichte in den Projektionen des Fin de siecle ansiedelte, obwohl ihre Gründung vor bald 100 Jahren speziell gegen diese Pseu-do-Epoche gedacht war.

Ferner wurde der Bestimmung Österreichs eine unselige Mitteleuropa-Idee aufgegeben, die wegen der realpolitischen Umstände nur auf dem Weg einer „Ostblok-kisierung“ erreicht werden kann, während die eindeutige Orientierung nach Westeuropa unterblieb.

Und drittens glaubt die ÖVP, sollte ihr überhaupt noch ein politisches Handeln nachgesagt werden können, im Gegensatz zu Kardinal Ratzinger, sie könne nur durch eine weitere Entklammerung von Rationalität und Spiritualität erfolgreich sein. Für diese Entklammerung stehen eine Reihe Politiker, wie eben Bernd Schilcher oder Josef Ratzenböck, oder die „Parteiphilosophen“ Peter Kampits und Andreas Khol. In dieser Schizophrenie zerstörte die ÖVP ihre Basis, was man sowohl gemäß der „Wählerstrom“-Ana-lysen behaupten kann, als auch weltanschaulich. Im therapeutischen Nihilismus, der Politik nur in Inszenierungen und bunten Färbelungen versteht, hatte man sich generell von der Erkenntnis entfernt, daß jede oppositionelle Rolle von einem Messianismus getragen werden muß. Wenigstens das hätte man aus der Geschichte der Sozialdemokratie lernen können, wenn schon die Geschichte des Christentums in der ÖVP nahezu in Vergessenheit geraten ist.

Gerade der politische Impressionismus der ÖVP verhinderte eine kreative Oppositionsrolle über 15 Jahre, die großteils von der landesüblichen Feigheit der „Christen“ getragen wurde, und zog sie in den Strudel der Zeiterscheinungen; Stichworte sind: Vergangenheitsbewältigung, Antisemitismus, spekulativer Neoliberalismus und anachronistischer Nationalismus, in dem nun diese Partei selbstverschuldet unterzugehen droht. Im Sinne Kardinal Ratzingers hat die ÖVP in der postmodernen Gestaltung ihrer kuriosen Politik am Kompetenz-Entzug des Menschen mehr Anteile als die SPÖ, die immerhin in ihren Intentionen den bürokratischen Zynismus nicht beabsichtigt.

Die ÖVP hat es soweit gebracht, daß die politische Wahrheit fast grundsätzlich nicht mehr bei den Konservativen ist wie sie auch nicht mehr die zivilen Tugenden des Aristoteles zum Ausgangspunkt ihrer Haltung erklärt. Kardinal Ratzinger hatte daher mit Recht vom Mißbrauch der Werte gesprochen, der offensichtlich jede Reinigung und Ordnung der Dinge verhindert und damit jede Position der Lüge überführt. Die „Christen“ selbst glauben nicht mehr, daß ihre Uberzeugung die

Vernunft freizusetzen vermag, der Fähigkeit des Sehens dient, sondern begeben sich freiwillig in die Sprachenverwirrungen, an deren Ende der Totalitarismus und die sowjetisierte Inszenierung eines Verfolgungswahns steht.

Der Kardinal zeichnete erneut das Bild einer Kirche, die die Verteidigerin der individuellen Freiheit ist — was wir dank der „milieuchristlichen“ Historiker schon nicht mehr wissen -, konzipierte ein neues Bild von Schöpfung und Naturgesetz, wo man in Österreich immer einen Gegensatz vermutet, weshalb die Klarheit des Vortrags auf erbitterte Wut bei vielen im Publikum stieß. Auch das ist eine Reaktion, um der Wahrheit zu entgehen.

Daher stürzte man sich begierig auf den Satz des Kardinals: Wer alles durchschaut, sieht bald nichts mehr, um daran dessen Anti-Szientismus anzugreifen und damit ein Element zu finden, den Kardinal als Fundamentalisten zu diskreditieren. Niemand denkt aber daran, daß der therapeutische Nihilismus in Österreich abzuschaffen ist, dessen Folgen für die Politik. Jener „Wert-Relativismus“ ist zu beenden, vor allem in der ÖVP, die lange dem Stil huldigte, Politik würde sich so „machen“ lassen wie ein Amateur-Konzert im „Metro-pol“: Bring your instruments.

Der Autor iit Dozent am Institut für Soziologie der Universität Wien.

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