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Falscher Ehrgeiz+Inkonsequenz

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Zum 24. Male lud die Stadt Mannheim zur „Internationalen Filmwoche“ ein — und welcher Gast, welcher Ausländer folgte nicht gern der Einladung, eine Woche in diesem ebenso fleißiggroßzügigen wie kulturell bedeutsamen (das Theater hat internationalen Rang, die Kunsthalle eine Bildersammlung des 19. und 20. Jahrhunderts, die sich sehen lassen kann!) Industriezentrum zu verbringen? Dennoch — noch nie war der journalistische Besuch so spärlich gewesen — und vor allem, noch nie auch der Besuch der Bevölkerung so gering und dürftig. Die gleichzeitig stattfindende Bundesgartenschau war glänzend besucht, die Filmwoche fand (fast) vor leeren Häusern statt.

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Zum 24. Male lud die Stadt Mannheim zur „Internationalen Filmwoche“ ein — und welcher Gast, welcher Ausländer folgte nicht gern der Einladung, eine Woche in diesem ebenso fleißiggroßzügigen wie kulturell bedeutsamen (das Theater hat internationalen Rang, die Kunsthalle eine Bildersammlung des 19. und 20. Jahrhunderts, die sich sehen lassen kann!) Industriezentrum zu verbringen? Dennoch — noch nie war der journalistische Besuch so spärlich gewesen — und vor allem, noch nie auch der Besuch der Bevölkerung so gering und dürftig. Die gleichzeitig stattfindende Bundesgartenschau war glänzend besucht, die Filmwoche fand (fast) vor leeren Häusern statt.

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Woher kommt das? Was ist die Ursache des so deutlich sich abzeichnenden Niederganges der Mannheimer Filmwoche? Dies zu analysieren dürfte noch wichtiger sein als ausführlich über die gezeigten Filme — vorwiegend abendfüllende (31 in 12 Wettbewerbsvorstellungen, 20 in 8 Informationsschauen, 14 in 4 „Ad-hoc“-Vorführungen und 5 in 10 — den bestbesuchten klarerweise — Vorführungen „Filme des Jahres“) — zu berichten. Das Ergebnis lohnte kaum die Mühe, es gab zwar einige gute Filme zu sehen, durchschnittliche, doch der interessante, wenn schon nicht bedeutende Film, „das Ereignis“ (wie es das früher noch oft in Mannheim gab!), fehlte.

Als vor zwei Jahren der langjährige, ebenso fachkundige wie verdienstvolle Leiter der Mannheimer Filmwoche, Walter Talmon-Gros, starb, hieß es, man werde vorläufig ein Provisorium für die Veranstaltung als Leitung einsetzen, sich aber nach einer entsprechenden Persönlichkeit umsehen, die als Festivalleiter zuständig und verantwortlich sei. Für 1974 unterblieb dies, was noch begründbar und eventuell verständlich war; doch als man dieses Jahr nach Mannheim kam, erwartete einen ein sogenanntes dreiköpfiges „Direktorium“ (daß dergleichen böse auszugehen pflegt, sollten die Beteiligten aus der alten römischen und späteren französischen

Geschichte gelernt haben!), von dem der langjährige Vertreter der Stadt sicherlich nur einen Verbindungsposten einnahm — das übrigens seit Jahren mit vollendeter diplomatischer Tüchtigkeit! Das Manöver ist leicht zu durchschauen: es ist eine Tarnung für die Befriedigung langgehegter ehrgeiziger Pläne — und letztlich auch gleichzeitig eine Verantwortungsabgabe: eine Leitung ohne direkten Leiter, ohrie Mut für Reformen (wofür nach dem Tode Talmon-Gros' die beste Möglichkeit gewesen wäre, um so mehr, als die Zeit dafür überreif ist!) — um nicht an „Popularität“ zu verlieren — und auch ohne Verantwortung... Denn da gibt es noch einen sogenannten „Auswahlausschuß“ (wobei sich am vorletzten Mitternachtsstammtisch herausstellte, wie selten er eigentlich komplett ein Urteil fällte!), der vorgeschoben werden konnte, wenn es um heikle Fragen der Wettbewerbsbeteiligung ging; und auf diese Weise versuchte also die neue nichtleitende Leitung, durch alle Strömungen und Richtungen hindurchzulavieren, ohne autoritär etwas zu entscheiden, für etwas zu stehen, etwas gegen etwas zu unternehmen. Diese positions- und ehrgeizbesessene Farblosigkeit zeitigte ihr (zu erwartendes) Ergebnis: insgesamt wurden an der Kinokasse für zahlende (Mannheimer) Besucher 504 Karten verkauft... Die Mannheimer verstanden eben Blässe zu „honorieren“ ...

Was Mannheim und seine Filmwoche braucht, soll nicht die nächstjährige 25. Jubiläumsveranstaltung, die man schon aus Prestige — und sei es vor total leeren Sälen — abhalten muß, die allerletzte sein, ist ein ebenso sach- und fachkundiger wie energischer Leiter, der auch den Mut zu unbeliebten Reformen hat. Daß heute überall Reformen durchgeführt werden, daß eine bestimmte linkspolitische Mode im Abklingen ist, hat man zum Beispiel in Frankfurt bei der Buchmesse schon eindeutig erkannt und sich daran orientiert. Warum tut dies Mannheim nicht? (Von diesem „Direktorium“ wird und kann es natürlich keiner!) Politische Aussagen, die ohne jede filmische Form und Gestaltung wie langweilige Fernsehinterviews halbstundenlang den Zuschauer einschläfern, sind nicht mehr en vogue — es sei denn, bei einem kleinen Häuflein unentwegter Schreier und Debattierer, die auch in ach so demokratischer Weise und vollendeter Höflichkeit den ausländischen Teilnehmern gegenüber bei den als „Mitternachtsstammtisch“ bezeichneten Diskussionen lautstark das (politische) Wort ergreifen und zumeist linke Phrasen schwätzen.

Als erstes müßte jemand den Mut haben, diese langweiligen und infolge ihrer ständigen Phrasenhaftigkeit auch nicht mehr allzu erheiternden (und absolut unfilmischen) „Diskussionen“ abzustellen oder in einen Filmsaal zu verlegen, wo sie — unabhängig von dem filminteressierten Publikum und den ausländischen Gästen und Teilnehmern der Filmwoche — nach Ansehen der sie interessierenden Politphrasenfilme niemanden belästigen und stören — und keine Angst, diese so lautstarke, sich stets heftigst auf die Demokratie berufende, sie aber in Unordnung und damit zur Zerstörung bringen wollende Minorität würde bald ihre Störversuche aufgeben; zweitens müßte der Verantwortliche auch den

Mut haben, die Filme nach ihrer filmischen Gestaltung, nach ihrem formalen und künstlerischen Gehalt auszuwählen, ohne sich dabei von (ebenfalls politisch eingestellten)

„Auswahlausschußmitgliedern“ dreireden zu lassen. Um auch auf den Kurzfilm zurückkommen (der politische Kurzfilm ist ohnedies für Oberhausen reserviert, andere zeigt man dort nicht!) — man komme den Fachleuten nicht damit, daß es diesen nicht mehr gibt! Und auch damit nicht, daß man damit wieder auf den alten „Kulturfilm“ (dies Wort als Herabsetzung gebraucht!) kommen würde! Den „alten“ Kulturfilm gibt es ohnedies noch kaum mehr — und wenn, ist er immer noch zehnmal, nein, hundertmal so unterhaltsam und erfreulicher anzusehen als das langweilige hilflos-phrasenhafte Gestammel von Polit-Fikndilettantenü

Dies isrind die wahren Gründe, warum die Mannheimer Bevölkerung jetzt mehr und mehr der Veranstaltung fernbleibt und warum mehr und mehr ausländische Gäste und Journalisten die Filmwoche meiden: die Langweiligkeit, Unbedeutung und qualitativ-miserable Verpoliti-sierung des Programmes, nichts anders. Darum noch einmal und in aller Eindringlichkeit im Interesse der Mannheimer Filmwoche: es gehört ein Leiter her, der das Steuer energisch herumreißt und, mit dem Mut zur Unpopularität, eventuell sogar (welch ein Unsinn: die Zeit ist wieder reif für Veränderungen und „neue Moden“!), die Filmwoche wieder zu einer Filmwoche macht, in der man Qualität sieht, Filme von filmischer Bedeutung, ja, auch wieder Kurzfilme — es gibt genug davon!

Sicher, der schüchterne Ansatz, noch versteckt (aus Angst vor der „schreienden Minorität“ und besorgt um die eigene Position), dazu war ja da, im Innersten wußten ja selbst die „Direktoren“ den Zug der Zeit zu deuten; das bewies zum Beispiel die Einbeziehung der wirklich ausgezeichneten sozialkritischen jüdischen Emigrantengeschichte „Heester

Street“ von Joan Micklin Silver in den Wettbewerb, die durchwegs sehenswerten und guten beiden schwedischen Filme „Maria,“ und „Pa spaning“ (Auf der Suche), die (noch verschämte) Auswahl von Filmen wie dem hervorragenden Lehrfilm „Synthetischer Film oder wie das Monster King-Kong von Phantasie und Präzision gezeugt wurde“ von Helmut Herbst oder Kanadas Filmgeschichte „Dreamland — A Hi-story of Early Canadian Movies 1895 bis 1939“ in die sogenannte In-formationsschau (die, wenn einmal wieder das normale Programm konsolidiert ist, ruhig wegfallen könnte). Es gab ohne Zweifel einige durchaus interessante und sehenswerte Filme — nicht zuletzt etwa den schon bei der Viennale gezeigten hervorragenden mexikanischen Magie-Film „Presagio“ (Vorahnung) oder die wirklich sehenswerten „Filme des Jahres“ wie den barbarisch gekonnten Andrzej-Vajda-Monsterfllm „Das gelobte Land“ (Ziemia obiecana), Märta Meszöros „Adoption“ (örökbe-f ogadäs) oder Alain Tanners „Le Milieu du monde“; und selbst die grausig-qualvolle Folterung und langsame Ermordung Mozarts in dem amerikanischen Unfilm „Mozart in Love“ von Mark Rappaport war auf einem Festival zu vertreten — man konnte ja immerhin den Saal verlassen — was auch nach und nach bis zur gänzlichen Leerung des Kinos geschah ...

Und schließlich: nichts gegen einen politischen Film — wenn er filmisch so großartig und künstlerisch so vollendet gemacht ist wie Japans Meisterwerk (ein Film für die Viennale!) „Die zerrissene Fahne“ (Ranru no hata) von Kimisaburo Yoshimura: hier wird allen deutschen Jungpolit-Phrasendreschern demonstriert, wie man einen eminent politischen Film so machen kann, daß er nie langweilig, sondern großartig, mitreißend und überzeugend ist! (Weshalb er ja auch von diesen abgelehnt wurde!)

Mannheim ist nun wahrhaftig und endgültig am Scheideweg: die für die Filmwoche verantwortlichen Stadtväter müssen nun in letzter Stunde entscheiden, ob sie diese einstmals so großartige und wahrhaft internationale, der Rhein-Neckar^Stadt hohen filmischen. Ruhm einbringende . Veranstaltung zugrundegehen oder weiterbestehen lassen wollen. In letzterem Falle gibt es nur eine Initiative: die schleunigste Bestellung eines Festivalleiters mit ausreichenden Vollmachten, eines Verantwortlichen, der es versteht, mit Mut und Können die Filmwoche behutsam wieder zu dem zu machen, was sie einmal war; das bedeutet keinen Rückschritt, sondern — hat man die heurige Mannheimer Filmwoche miterlebt — ihre einzige Rettung und den Weg zu einem gesicherten Fortbestand ...

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