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Falscher Friedensberater: Angst vor Weltuntergang

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Ist die heftige Friedensdiskussion der letzten Jahre nur Frucht der totalen Angst? Geht es den Friedensbewegten vielleicht nur darum, im Bett statt im Atomblitz zu sterben?

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Ist die heftige Friedensdiskussion der letzten Jahre nur Frucht der totalen Angst? Geht es den Friedensbewegten vielleicht nur darum, im Bett statt im Atomblitz zu sterben?

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Soweit wir aus der Geschichte wissen, was die Menschen als Glück, Segen und Erfüllung betrachtet haben, soweit haben wir es auch immer mit der Sehnsucht der Menschen nach Freiheit und Frieden zu tun. Selten in der Geschichte wurde den Menschen diese Sehnsucht erfüllt.

Mehr vom Kampf um den Frieden wird uns berichtet, weil Kriege oft zur Erreichung von Stärke geführt wurden; nur der Sieg im Krieg erschien den Menschen als das geeignete Mittel, aus einer Position der Stärke heraus die Welt zu ordnen und damit Frieden zu schaffen. So mußte der Friede oft

dadurch erzwungen werden, daß der Räuber und Störenfried, daß der Vertragsbrüchige und Machtlüsterne, daß der Unstete und Gesetzlose durch die Stärke des Siegers niedergezwungen und niedergehalten wurde.

So ist der Friede im Erscheinungsbild der Geschichte oft an etwas festgemacht, was selbst gar nichts mit dem Frieden zu tun hat, wie z. B. militärische Überlegenheit, Unterwerfung, ökonomische Abhängigkeit... - Es gehört zum fast ständigen Geschichtsbild des Friedens, daß er eigentlich in etwas Entfremdetem besteht. Fast jeder Schüler kennt den berühmten Satz des Lateinbuchs: Si vis pacem, para bellum — Wenn du den Frieden wünschest, dann rüste zum Krieg.

Wenn man auf diesem pessimistischen Hintergrund die kilometerlangen, händehaltenden Menschenschlangen der heutigen Friedensbewegungen, die Hochstilisierung der Bergpredigt zu einer politischen Generalfriedensformel, die geradezu kindliche Ablehnung des Gleichgewichts des Schreckens und ihre prophetisch anmutende Proklamation der Abrüstung betrachtet, so wird man sagen müssen, daß die große Weltgeschichte hoch kaum ein Beispiel eines aus Moralität zustande gekommenen Friedens geliefert hat.

Wir müssen daher fragen, ob wir dann überhaupt einen „moralischen“ Weg, jenseits von der Ursächlichkeit des Stärkeren zum Frieden, kennen? Gibt es eine Friedenslehre, die nicht vom weltpolitischen Interesse des Stärkeren abhängig ist, die für jeden und immer gilt, der sich alle zu unterwerfen haben, um Frieden zu schaffen?

Fürs erste meinen wir, daß wir über Frieden sehr viel wissen. Wir kennen alle möglichen Ursachen, die zum Krieg führen: die ungerechte Verteilung der Güter in der Welt, die vielen „ismen“ vom Nationalismus bis zum Rassismus und Faschismus, das Vormachtstreben ... Wenn wir solchen Ursachen zum Krieg bewußt begegnen, wenn wir Widerstand leisten, wenn wir die Ursachen beheben, glauben wir, den Frieden gefördert oder geschaffen zu haben. Worin jedoch besteht der Friede in sich, nachdem wir alle Ursachen, die den Frieden gefährden, abgezogen haben?

Alle Formeln und Utopien des Friedens erliegen derselben Illusion, daß sich nämlich eine Ordnung und Verteilung herstellen läßt, die es dem Menschen als höchste Glückseligkeit erscheinen läßt, friedvoll zu leben. Immer wieder versuchen diese utopischen Formeln die Tatsache zu

umgehen, daß der Friede weniger ein glücklich konstruierter Zustand als vielmehr eine Angelegenheit der ständigen, freien Entscheidung des Menschen ist.

Der Friede ist kein „Zustand“, der so beschaffen ist, daß er die freien Entscheidungen des Menschen einfach in der Ordnung des Friedens hält. Es ist umgekehrt: Der Friede wird erst ein politischer Zustand, wenn der Mensch sich frei für den Frieden entscheidet.

Die erregten und engagierten Friedensdebatten der letzten Zeit haben den Frieden zum absoluten und höchsten Wert erhoben; alles andere ist der Pflicht zum Frieden unterzuordnen. Ein solches absolutes Friedensprinzip kann jedoch zur wiederspruchsvollen Worthülse werden, die unter dem Vorwand des Friedens den Frieden gefährdet.

Das Friedensprinzip kann eine gefährliche Partei werden, wenn der Friede nicht am wahren Menschsein entwickelt wird. Das heißt, wer den Frieden für einen konstruierbaren „Zustand“ hält und die freie Entscheidung des Menschen nicht einbezieht, der plant einen faulen Frieden... Hauptsache, daß die Welt ruhig bleibt. Und während man noch im Enthusiasmus von Gewaltfreiheit spricht, kann man schon einem Friedenszustand den Weg geöffnet haben, der nur mit Gewalt den Frieden hält.

Der Friede, der an der Wahrheit des Menschseins vorbei gebaut

wird, kann sehr schnell sein eigener Widerspruch werden, nämlich ein gewaltsamer Friede, ein Friede durch Gewalt.

Wer den Frieden nicht am wahren Menschsein mißt, der könnte sich dazu versteigen und fordern: Gebt einer Macht in der Welt alle Macht, dann ist sicher Friede, dann kann kein anderer mehr den Frieden stören. In diesem Augenblick wäre der Friede scheinbar noch immer Friede, aber der Friede wäre nichts anderes mehr als die absolute Gewalt des alleinigen Stärksten.

Der Friede, wie er gerade in letzter Zeit so dringlich geworden ist, steht auf einem sehr schmalen Fundament, wenn er sich nur auf die totale Todesangst der Menschen beruft. Das Sterben und der Tod bleiben immer das unabwendbare Geschick des Menschen. Der Mensch, der für den Frieden mobilisiert, tut doch schließlich alles nur, um ohne Krieg vielleicht ein paar Jahrzehnte länger zu leben. Aber auch das längste Leben wird beim Sterben immer noch zu kurz gewesen sein.

Ist daher die Friedensdiskussion, die nur von der allgemeinen Todesangst getragen ist, vielleicht doch nur das Diskutieren um ein paar Lebensjahre mehr, oder vielleicht nur die Sorge, lieber im Bett statt im Atomblitz zu sterben?

Eine solche Frage klingt übertrieben und zynisch. Aber die Friedensdiskussion aus purer Angst gibt im Grunde keine anderen Perspektiven her.

Die totale Angst des Menschen vor der absoluten Katastrophe kann sich sicher aus vielen In-

dizien unserer Weltlage als begründet darstellen. Wir haben keinen Grund, über die Angst unseren Spott zu treiben; wir haben jedoch alle Pflicht, an der Angst begründete Kritik zu üben.

Es ist das fundamentale Übel der Angst, daß sie dem Menschen jede Wahrheit wegnimmt, die jenseits des hastigen und verzweifelten Genusses der eigenen Lebenstage liegen könnte. Die Angst ist die Wurzel des Wahrheits- und Wirklichkeitsverlustes in unserer Zeit.

Die totale Angst zerstört die Rationalität des Menschen und des

Menschseins; wie wenig praktikabel muß daher auch ein Friede sein, der nichts anderes als der Imperativ dieser Angst ist. Eine solche Angst wird nur einen instrumentalisierten Frieden fordern können, der ein bloßer Zustand ohne die Einbringung des wahren Menschseins ist.

Beim Frieden geht es um den Menschen. Doch nicht der Mensch hat sich dem Frieden unterzuordnen. Es ist umgekehrt: Der Friede hat das wahre Menschsein des Menschen zu vollbringen. Wir könnten behaupten, daß nicht durch den Frieden der Mensch erst Mensch wird und ist, sondern daß durch den Menschen der Friede erst Friede wird und ist. Haben wir hier nur ein täuschendes Wortspiel geliefert?

Mit dieser Feststellung sollte dargetan werden: Der Friede ist nicht eine Art Garten, den man zuerst baut und in den man so-

dann den Menschen hineinsetzt. Der Friede kann nicht vor dem Menschen, nicht nach dem Menschen und nicht am Menschen vorbei gemacht werden. Den humanisierten Frieden gibt es nur auf diese Weise des wahren Menschseins.

Der humanisierte Friede geht von einer inneren Wahrheit des Menschen aus, die allein die Chance des menschenwürdigen Friedens bietet. Wer nicht zuerst sagt, was der Mensch ist und was der Mensch sein soll, der hat auch keine wirkliche Kompetenz, vom Frieden zu reden oder eine Frie-

densordnung vorzuschlagen.

Das zentrale Wort, hinter dem für die katholische Kirche die Frage von der Menschenwürdigkeit des Friedens sich stellt, ist das Wort „Freiheit des Menschen“. Zum Weltfriedenstag 1980 sagte Johannes Paul II: „Um dem Frieden zu dienen, achte die Freiheit.“ Und zum Weltfriedenstag 1984 sagt derselbe Johannes Paul IL: „Es ist vor allem nötig, daß die Personen und die Völker eine wahre Freiheit des Geistes erlan-gen.

Und es ist der rechtdenkende und von der Menschenwürde überzeugte Mensch, der nach Johannes Paul II. |len Mut hat, „für die anderen, die leiden, seine Stimme zu erheben und (sich) weigert, vor der Ungerechtigkeit zu kapitulieren, sich mit ihr zu kompromittieren. Derjenige, der den Frieden zutiefst will, wird sogar — so paradox dies auch klingt

-jeden Pazifismus zurückweisen, der nur Feigheit oder simple Wahrung der Ruhe sein würde.“

Durch die entsetzlichen Risiken einer ungeheuren Vernichtungskraft ist der Krieg „undenkbar“ geworden. Dennoch muß der Weg zum Frieden ein ethischer Weg sein, ein Weg des Menschen mit Gewissen, ein Weg des frei entscheidenden Menschen.

Wann aber kann der Mensch sein Gewissen wahrhaft ausüben? Sicher nicht dann, wenn er in der totalen Angst alles nur daran bemißt, wie er in den unverkürzten Genuß seiner Lebenstage kommt. Der Mensch braucht zum wahren und wirklichen Menschsein die Freiheit. Auch das Gewissen kann nur Gewissen sein in Freiheit.

In der Friedensdiskussion kann man sehr wohl dem Begriff „Friede in Freiheit“ zustimmen. Damit ist die Freiheit als unverzichtbare Menschenwürdigkeit des Friedens gekennzeichnet und in jeder Anstrengung um Frieden mitzu-verteidigen. Das wahre Menschsein ist nicht nur das Maß des Friedens, es ist auch das Maß und das Kriterium der Freiheit.

Ein zentrales Wort der katholischen Soziallehre, aber auch der katholischen Friedenslehre ist das Wort „Person“: Jeder Mensch ist Person, jeder Mensch ist einmalig und unwiederholbar, jeder Mensch hat eine Würde und hat Rechte, die ihm die Gesellschaft und Welt weder verleiht, noch ihm nehmen kann. In diesem Personsein ist jeder einzelne Mensch der

Sinn der Welt, der Sinn der Schöpfung, der Sinn der Geschichte, sogar der Sinn der Erlösung.

Der Grund für das Personsein des Menschen liegt in der Wirklichkeit Gottes, der den Menschen erschafft. Und so besteht diese unüberbietbare Höhe und Würde des Menschen darin, daß der Mensch ein ganz besonderer Beschluß des Schöpfergottes ist.

Aus diesem Grund bezieht die katholische Friedenslehre in die Friedensfähigkeit des Menschen die Wirklichkeit Gottes und die Würde der Gottebenbildlichkeit des Menschen ein. Das letzte Ziel des christlich geprägten Friedens ist nicht eine Welt und Geschichte im totalen Gleichgewicht einer Gleichheit. Die christliche Wirklichkeit des Friedens ist die Verwandlung zu einer Welt, in der man alles im „Du“ zueinander sagt, in der in allem für den Menschen das Glück vernehmbar ist, das sagt: Wie gut, daß es dich gibt.

Und auch die tiefste Bedeutung der Freiheit des Menschen besteht schließlich darin, eine anonyme Welt der bloßen „Zustände“ in eine Welt der Solidarität, der gegenseitigen Verantwortung und Sorge, der gegenseitigen Förderung und Verpf lichtetheit zu verwandeln.

Nicht nur der Krieg ist für den Menschen zu verhindern, vor allem der Friede ist menschlich und menschenwürdig zu gestalten. Ein solcher Humanismus ist die notwendige Veränderung des Pazifismus.

Der Autor ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Regensburg, sein Beitrag ein Auszug aus einem Vortrag am Symposium „Option für den Frieden“ in Piesting.

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