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Falscher Vorrang

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Der Generalsekretär der ÖVP hat kürzlich sehr treffend festgestellt, daß sich die ÖVP als Alternative zu einem Sozialismus verstehen muß, der alle Fragen vor allem durch den Staat lösen möchte, und die eigentliche Tendenzwende, die seine Partei propagiert, in einer Entstaatlichung liegt, wo immer das möglich und sinnvoll ist.

Damit hat Helmut Kukacka den derzeit folgenschwersten Mangel seiner Partei aufgezeigt: Das Fehlen konsequenter ordnungspolitischer Vorstellungen.

Ein solches Gebiet, in welchem ein solcher falscher Vorrang des

Staates dringend beseitigt werden muß und auf welchem die OVP sogar Erstlingsrechte geltend machen kann, ist die Einkommensbesteuerung der Familien.

Der Familienlastenausgleich stand seinerzeit unter der Federführung der ÖVP als „duales“ System auf zwei Beinen: Auf der Berücksichtigung der Familienlasten bei der Bemessung der Einkommensteuer und auf der Gewährung von Familienbeihilfen für jedes Kind. Das von der ÖVP anläßlich der Beschlußfassung des Familienlastenausgleichsge-setzes 1954 im Parlament vorgelegte Konzept ist seinerzeit sowohl von der damals koalierten SPÖ wie auch von der damals oppositionellen FPÖ angenommen worden.

Die Berücksichtigung der Familienlasten vor der Bemessung der progressiven Einkommensteuer ging von einer klaren Rangord--nung aus: Zuerst rangieren die Verpflichtungen des (der) Familienerhalter zur Existenzsicherung der Familienangehörigen, dann erst beginnt die Wirtschaft-: liehe Leistungsfähigkeit, die eine! Beitragspflicht zur Finanzierung des Staates überhaupt erst be-“ gründet.

Die Sozialisten haben dann während der von ihnen dominierten Regierungen den Familienlastenausgleich schrittweise in einer Weise verändert, die ihrer Rangordnung Rechnung trägt: Zuerst rangiert die Steuerpflicbt. Die Tatsache, daß Sorgepflichten für die Familie (verringert durch die Familienbeihilfe) diese wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beschränken, blieb steuerlich gänzlich außer acht. Daraus ergibt sich heute eine massive Überbesteuerung der Familien mit Kindern, die vom Kummer-Institut mit rund zehn Milliarden Schilling geschätzt wird und wohl kaum in einem Schritt korrigiert werden kann.

Frau Minister Marilies Flem-ming hat ganz recht, wenn sie in ihrem Interview mit der FURCHE Nummer 51/52 vom 18. Dezember 1987 meinte, daß bei der Steuerreform die Sorgepflicht vor allem für die Mehr-Kinder-Familie im Vordergrund stehen muß angesichts des Umstandes, daß mehrere Kinder nicht selten selbst überdurchschnittliche Einkommensbezieher — am Pro-Kopf-Einkommen gemessen—unter die Armutsgrenze drücken.

Sie irrt aber, wenn sie glaubt, daß das Existenzminimum für die Erhaltung der Familie aus dem Einkommen aufgebracht werden muß, das nach der Steuerleistung übrig bleibt! Dem ersten Recht des Steuerzahlers, seine Familie aus seinem Einkommen zu erhalten, kann nie durch einen Absetzbetrag Rechnung getragen werden, selbst wenn dieser um 100 oder 200 Prozent („substantiell“) auf 100 beziehungsweise 150 Schilling pro Monat und Kind aufgestockt würde!

Frau Minister Flemming hat zwar ganz zu Recht die Unauf-richtigkeit des Schlagwortes demaskiert, jedes Kind wäre dem Staat „gleich wert“, wenn dieser für jedes Kind einen gleich hohen Absetzbetrag anerkennt: Die Kinder, deren Erhalter zu wenig verdienen, um den Absetzbetrag voll oder überhaupt ausnützen zu können, können nicht in den Genuß dieser Maßnahme kommen.

Der Weg aber, der ihr zur Lösung dieses Problems offenbar vorschwebt, kann nur in die Sackgasse der Verdrängung der Familienlasten aus dem Steuerrecht führen. Ihr Vorschlag laut FUR-CHE-Interview: „Dort, wo das Steueraufkommen so gering wäre, daß man den Absetzbetrag gar nicht ausschöpfen könnte, weil eben mehrere Kinder da sind, wird er sich in Form einer Negativsteuer zu Buche schlagen, also es kommt zu einer Barauszahlung des Geldes, es kommt zu einer Erhöhung der Familienbeihilfe.“

Zur Verwirklichung dieser Idee gibt es wohl nur einen wirklich administrablen Weg: Die Finanz-Verwaltung zahlt jedem Familienerhalter einen Beitrag in der Höhe des Steuerabsetzbetrages aus, ohne Rücksicht darauf, wieviel an Steuern er zu leisten hat. Da dieser Barbetrag damit in keinerlei sachlichem Zusammenhang mit der Steuerleistung steht, ist dies dann der Sache nach kein Steuerabsetzbetrag, sondern eine generelle Erhöhung der Familienbeihilfe um — unter unserer Annahme von 100 bis 200 Schilling pro Kind und Monat.

Das ist sicherlich an sich auch begrüßenswert, aber wäre wieder eine völlige Ignorierung der Familiensorgepflicht bei der Bemessung der Steuerpflicht! Die sozialistisch-etatistische Rangordnung wäre wieder voll hergestellt, wie hoch immer der Absetzbetrag ausfallen möge.

Die ÖVP wird dieser Sackgasse nur entkommen können, wenn es ihr gelingt, den Steuerabsetzbetrag durch einen Steuerfreibetrag zu ersetzen. Die Gleichheit, um die es in einem progressiven Einkommensteuersystem geht, kann nur die Gleichheit der Anerkennung des selben Existenzminimums für alle Kinder ohne Rücksicht auf die Aufwendungen des Familienerhalters sein. Die Anerkennung eines Existenzminimums für die nichtberufstätige Ehegattin würde dann auch die Verlegenheitslösung des Allein-verdienerabsetzbetrags erübrigen.

Vielleicht ist gerade die Sackgasse, in welche die gutgemeinten, aber nicht ausreichenden konzep-tiv durchdachten Vorschläge münden, geeignet, auch auf dem Gebiet der Familienbesteuerung die von Kukacka mit Recht betriebene Trendwende in die Wege zu leiten.

Der Autor, Finanzminister und Nationalbankpräsident a. D., ist Mitherausgeber der FURCHE.

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