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Falscher Weg Manierismus

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Ist der neue Entwurf für das Haas-Haus eine gute Lösung? Holleins Pläne für die Gestaltung der Ecke Graben-Stephansplatz erwecken Zustimmung und Widerspruch.

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Ist der neue Entwurf für das Haas-Haus eine gute Lösung? Holleins Pläne für die Gestaltung der Ecke Graben-Stephansplatz erwecken Zustimmung und Widerspruch.

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Das Phänomen Manierismus ist Spiegel fundamentaler religiöser, soziologischer und historischer Erschütterungen. Gemeint ist damit eine Entwicklung der Kunst, eine vielschichtige Antwort auf konstruktive Erscheinungsformen, welche zu einer unerträglichen Monotonie unserer Umwelt geführt haben. Gemeint ist das Haus von Hans Hollein, am Stock-im-Eisen-Platz, in Wien.

Wieweit Manierismus dieser Art wirklich in das Zentrum einer Kulturstadt gestellt werden muß, hängt in erster Linie von der Beantwortung der Frage ab, 8b unsere Gesellschaft ebenso manieri-stisch begabt ist wie Hans Hollein. Ist sie es nicht (und sie kann es heute dank ihrer Vielschichtigkeit gar nicht mehr sein), muß es zu berechtigten Konfrontationen kpmmen.

Das löst jedoch nicht das Problem. Es steht nämlich Hans Hollein vollkommen frei, welche künstlerische Richtung er persönlich einschlägt, und eben wegen seiner Neigung zum Manierismus wurde er, als Vertreter dieser ganz bestimmten architektonischen Richtung, mit dem Pritz-ker-Preis ausgezeichnet. Die daraus resultierende Anerkennung hat die Bedeutung einer Auswahl, in der Trends manifestiert werden, und zwar so, daß man das Ergebnis akzeptieren muß; auch gegen eigene Ansicht.

Es wurde also hier — ob bewußt oder unbewußt, scheint mir fraglich — ein eindeutiges kulturelles Zeichen der Zeit gesetzt. Warum regen wir uns jetzt darüber auf?

Liegt es nicht im Wesen des Manierismus, eine Neuordnung der Werte einzuleiten, so daß als Folge des Manierismus neue Ordnungen entstanden sind, auch heute noch entstehen? So gesehen ist es dann auch richtig, daß dafür ein bedeutender Bauplatz ausgesucht worden ist. Vermutlich wird der Mangel darin verspürt, daß es jedem lieber wäre, wenn hier schon tatsächlich „neue” Architektur realisiert würde.

Zu viele Probleme werden durch diesen Entwurf aufgezeigt:

Zum ersten, die Unfähigkeit der heutigen Architektur zur Raumbildung. Wichtigste Voraussetzung zum Bau dieses Hauses ist die Lösung der Platzfolge: Graben-Stock-im-Eisen-Platz-Stephansplatz. Die klare räumliche Ausbildung dreier verschiedener Plätze fehlt dem vorgestellten Projekt vollständig. Durch die Abrundung der Ecke und die Ausformung eines unstatisch wirkenden teleskopartigen Turmes wird die notwendige räumliche Trennung geradezu ins Gegenteil gekehrt.

Zum zweiten, die ungelöste Materialfrage. Zusammenhängend mit der Raumbildung wird ein Glaskörper, so schön er auch immer detailliert wird, wenig raumbildenden Wandcharakter erzeugen. Die Wirkung als Spiegel, schlimmer noch, die Wirkung als räumliches Loch löst die Räumlichkeit auf manieristische Weise vollkommen auf. Der treppenartige Ubergang der vollen Fläche zum Glasraster ergibt eine terrassenförmige Großform, deren Banalität man sich an dieser Ecke wirklich nicht erwartet hat.

Zum dritten, die Frage zum Bauen im historischen Bereich. Ein dementsprechender Kontext ist offensichtlich bis heute nicht allgemein formuliert, aber eines wird bei diesem Gebäude klar: die architektonische Haltung dieses Gebäudes schließt eine Anpassung von vornherein aus.

Trotz dieser negativen Erfahrungen mit baulichen Experimenten an Kristallisationspunkten des Stadtbildes kann nicht einfach mit dem Bauen aufgehört werden. Nur durch die Darstellung solcher Vorgänge wird unsere Zeit verständlich und ablesbar. Aber: Ist manieristische Architektur heute zeitgemäß, Wien gemäß?

Warum kommen Touristen heute nach Wien? Um als Wohltat sehen zu können, welch intelligente Antworten Architekten vergangener Epochen als Lösung auf Fragen ihrer architektonischen und städtebaulichen Probleme gefunden haben. Oder glaubt man wirklich, daß in hundert Jahren Autobuskolonnen zum Hundertwasser-Haus pilgern werden?

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