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Falsches Schwarzweiß

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Seit einem Jahr ist die neue ORF-Führung nun im Amt; sie residiert fast komplett im funkelnagelneuen Zentrum auf dem Küniglberg, bei dessen Eröffnung mit Recht von einer neuen Ära gesprochen 'wurde. Es war ein Jahr mit einem neuen Gesetz und ohne Programmrichtlinien, um die nun so heftig gekämpft wird. Eine Plus-Minus-Rechnung macht allerdings deutlich, daß das Schwarzweißbild nicht stimmt, mit dem der ORF entweder verteufelt oder hochgelobt wird.

Tatsache ist: das neue Gesetz ist schwer praktikabel, erhöht die Umständlichkeit und erweitert die Bürokratie. Es hat nicht zur Erweiterung des Horizionts der Anstalt beigetragen, aber auch nicht das Chaos hereinbrechen lassen, das man anfänglich prophezeite.

Das ORF-Kuratorium ist „politischer“ als der alte ORF-Aufsichtsrat — nämlich partei- und machtpolitischer ausgerichtet. Das schafft nach wie vor Unsicherheit und begünstigt das „Hineinregieren“ in die Rundfunkanstalt. Die Hörer- und Sehervertretung ist keine solche — wie es, im Namen zum Ausdruck käme —, sondern ein Sammelsurium von Vereinsinteressenten. Noch hat die Vertretung keine einzige eigenständige Programmvorstellung entwickeln öder verhindern können.

Die Zweiteilung der Fernsehdirektion in zwei Intendanzen wurde seinerzeit mit der Notwendigkeit von „Meinungsvielfält“ begründet. Gott sei Dank gibt es aber noch immer eine Zusammenarbeit der beiden Intendanten — sehr zugunsten des Programms.

Die Kontrastphilosophie war weder neu, noch ist sie dann schädlich, wenn qualitativ Hochwertiges über die Bildschirme kommt. Tatsächlich ist der Vorwurf in sich zusammengefallen, es gäbe weniger Information — zugunsten einer fragwürdigen Unterhaltung. (Auch diese Zeitung hat Befürchtungen geäußert; wir attestieren gerne, daß sie entkräftet wurden.) Tatsächlich ist die Information in FS 1 kompakter und damit auch präziser geworden, FS 2 praktiziert in seiner täglichen Zeit im Bild 2. einen Stil, wie er eigentlich in Europa nirgendwo in dieser Qualität angeboten wird. Vor allem aber wird hier der Versuch gemacht, mit reiner Information die Zuse-her nicht zu überfluten, sondern Hintergründe und Zusammenhänge mediengerecht aufzubereiten. Und das ist auch dann schon ein Durchbrach, wenn die Spätabendsendung im zweiten Programm nur von wenigen Zusehern gesehen wird.

Ist die Information röter, schwärzer? Ist man im ORF weniger oder mehr „objektiv“? Man braucht sich nicht zu wiederholen: die Begriffe sind ja leere Worthülsen und nicht erfüllbare Wunschvorstellungen. Beides, Objektivität und Meinungsvielfalt sind moralische Ansprüche, aber jedenfalls nioht beurteilungsfähige Kriterien. Allerdings hat dieser reformierte ORF auch der Regierung mehr als einmal unangenehme Fragen gestellt — und im Sommer sehr zum Mißbehagen der SPÖ geradezu Taus-Festspiele veranstaltet. Und heute geht das Pro und Kontra über die „Färbung“ der Programme quer durch alle Lager. FS-l-Inten-dant Gerhard Weis hat im Regie-rungs- wie im Oppositionslager fast gleich viele Gegner wie Freunde; und Franz Kreuzer, einst Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“, wird in den Reihen der SPÖ etwa so massiv abgelehnt, wie er von ÖVP-Funktio-nären gelegentlich gelobt wird (wer ihn weiland wirklich im Kuratorium auf das Schild gehoben hat, ist ja nie vollends geklärt worden).

Das Hörfunkprogramm hat mittlerweile seine Qualität nicht nur halten können, sondern durch einige spektakuläre High-Lights auch noch wesentlich dazugewonnen — etwa durch das exzellente Osteuropa-Magazin.

So liegen die eigentlichen Probleme für das Programm auch heute nicht in fehlenden Programmrichtlinien, sondern auf anderer Ebene:

• Der ORF ist, wie die deutschen Sendeanstalten, in eine arge Finanzflaute gesegelt. Hat man sich nicht vielleicht doch mit Investitionen technischer Natur übernommen und büßt die neue ORF-Garnitur dadurch nicht für die Monsterpläne der alten? Auch das ZDF spielt uralte Filme, weil man kein Geld für großartige Unterhaltungsproduktionen hat.

• Der Föderalismus und der Bürokratismus belasten heute die Kosten und die Elastizität des programmproduzierenden Bereiches außerordentlich. Hier sind aber das Gesetz und gewisse Gewerkschaftspraktiken die Hauptschuldigen.

Solche Schwächen kann man freilich nioht durch Programmrichtlinien beseitigen. Stärke und Schwäche eines Generalintendanten hängen nicht von papierenen Quasi-Bescheiden — in denen Worthülsen stehen — ab, sondern von der Autorität, die er nötigenfalls in Anspruch nimmt.

Wie die Dinge im ORF liegen, sind allerdings nicht gehässige Kampagnen von Zeitungen wünschenswert, sondern vielmehr eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Medium und seiner Programmphilosophie. Wir brauchen auch eine seriöse Programmkritik, die bislang in Österreichs Tagespresse völlig unzureichend entwickelt wurde. So müßte man Klarheit darüber schaffen, was dem ORF wirklich hilft: welche Art TV-Unterhaltung ist zu wünschen, soll noch mehr „Lebenshilfe“ via Fernsehschirm geboten werden, oder muß jetzt eine Forcierung der Erziehungsaufgaben des Mediums einsetzen? Bitte um Meinung, wo in den nächsten Jahren angesetzt werden soll!

Da wird der ORF etwa nicht umhin können, sich als Impulssetzer für den wertvollen künstlerischen österreichischen Film anzunehmen; oder sollen die letzten guten Autoren und Regisseure auch noch ins Ausland abwandern? Und zuletzt bedarf es wohl einer Akfcordierung der Bemühungen des Unterrichtsministers mit dem ORF, mittels massiven Maßnahmenkatalogs das kulturelle Bewußtsein der Durchschnittsösterreicher anzuheben. Kulturpolitik ist, bitteschön, heute ja vor allem Medienpolitik.

Nachdem das Kabelfernsehen wohl nicht so rasch kommt, wie Optimisten hofften und die Kassette (Bildplatte) auch auf sich warten läßt, haben Rundfunk/Fernsehen noch eine Atempause.

Der Rundfunk ist kein Musterschüler der Nation, aber auch kein Prügelknabe.

Wäre ein Konsens darüber nicht fällig?

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