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Familie à la Regierung

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„Die Geburtenzahl in Österreich ist außerordentlich unbefriedigend, die Perspektiven für die wirtschaftliche und soziale Zukunft des österreichischen Volkes sind düster, wenn es nicht gelingt, die Geburtenzahl zu erhöhen ... Wenn wir den Lebensabend unserer alt gewordenen Arbeitskräfte gewährleisten wollen, dann müssen wir aber auch Voraussetzungen schaffen, die den Entschluß zum Kinderreichtum auch materiell, und zwar aus Mitteln der Gesamtheit, erleichtern.“

Mit diesen Worten begründeten am 10. März 1954 die sozialistischen Abgeordneten unter Führung von Fer-dinanda Floßmann und Wilhelmine Moik ihren Initiativantrag, aus dem -gemeinsam mit einem ähnüch lautenden der ÖVP - das erste Familien-lastenausgleichsgesetz entstehen sollte. 25 Jahre später ist die materielle Lage der österreichischen (Durchschnitts-)Familie mit der in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht mehr zu vergleichen.

Die Geburtenzahlen sind nach dem damals erreichten Tiefpunkt zunächst wieder stark angestiegen (woran die einst gesetzten Maßnahmen sicherlich ihren Anteil hatten), um dann wieder ebenso stark abzufallen. Der Entschluß zum „Kinderreichtum“, wo immer man mit dieser Bezeichnung ansetzen will, der Wille, mehrere Kinder großzuziehen, scheint heute weniger denn je von der offiziellen Familienpolitik gefördert zu werden.

Zum zweiten Mal legte die Bundesregierung vor wenigen Wochen einen „Bericht über die Situation der Familie in Österreich“ dem Nationalrat vor — er wird im Herbst wohl gerade rechtzeitig zur Diskussion stehen, um auch termingerecht des oben erwähnten Beginns einer systematischen Familienförderung vor einem Vierteljahrhundert gedenken zu können. (Die FURCHE wird auf die Einzelteile noch detailliert zurückkommen.)

Der erste Famüienbericht stammt noch aus der Ära Klaus. In den letzten zehn Jahren, in der Ära Kreisky, gab es eine Fülle familienpolitischer Maßnahmen, im sozialen ebenso wie im rechtlichen Bereich, die natürlich in einem Bericht wie diesem entsprechend notifiziert werden müssen, auch wenn die Meinungen auseinandergehen, wie weit sie der Familie, wie wir sie uns vorstellen, tatsächlich nützen, oder wie weit sie - etwa im Scheidungs- und Strafrecht - eher eine Desintegration der Familie begünstigen.

Mehr als 730 Seiten Großformat, enggedruckt, sammeln eine Fülle wichtigen Materials aus allen Bereichen - so viel, daß über weite Strek-ken, vor allem im Gesundheits- und Wohnungsteil, die Frage auftaucht, was das alles noch mit der Familie zu tun habe.

Wenn man allerdings die Familie als „Grundeinheit der Gesellschaft“ anerkennt, wie es die verschiedenen Formulierungen der Menschenrechtskonventionen tun, dann betrifft jede Maßnahme des Staates auch die Famüie (und sollte daher auch mit Blick auf die eingangs zitierte Feststellung abgewogen werden).

Der Bericht führt an, was die Programme der drei Parteien über die Familie aussagen, nicht aber, was abweichend von der offiziellen Parteilinie in Deklarationen zu SPÖ-Par-teitagen niedergelegt worden ist. Da sich diese Forderungen nicht durch-

gesetzt haben, scheint es legitim, sie offiziell zu verschweigen. Da es sich aber um dieselben Kreise handelt, die die Fristenlösung durchgedrückt haben, müssen auch ihre Vorstellungen unter Beobachtung bleiben.

Der Bericht überspielt auch die Tatsache, daß der noch unter der Regierung Klaus installierte Familienpolitische Beirat in der Ära Kreisky und vor allem unter dem Vorsitz der Staatssekretärin Karl nur mehr ein Schattendasein führt und man sich höheren Orts wenig darum kümmert, was er - mitunter einstimmig - feststellt.

Der Bericht erwähnt zwar, daß es in manchen Fragen Meinungsverschiedenheiten gab, daß mitunter keine Einigung möglich war - wie man tatsächlich aber mit den gesetzlich legitimierten Sprechern der Familien umsprang, das schildert deutlicher einer der dabei war, Hermann Danninger vom Katholischen Familienverband, in seinem gleichzeitig in der Schriftenreihe des KFV erschienenen, wesentlich bescheideneren, aber nicht weniger aussagekräftigen Bericht „Zur wirtschaftlichen Lage der Familie in Österreich“.

Dort kommt auch besser als in den offiziellen Erläuterungen zum Ausdruck, daß zwischen „Familie“ und „Familie“ heute große Unterschiede herrschen, zwischen der Ein-ilind-Familie mit berufstätiger (und damit getrennt besteuerter) Mutter und der Mehrkind-Familie des alleinerhaltenden Familienvaters gleicher Gesellschaftsschicht.

Deswegen galt auch in diesem ganzen Jahrzehnt als ständiger Streitpunkt die Forderung der Familiensprecher, die Kinderbeihilfen nach Zahl und Alter der Kinder zu staffeln. 1954 forderte Ferdinanda Floßmann eine stärkere Staffelung bei steigender Kinderzahl, als wie der Vorschlag der ÖVP vorsah. Inzwischen sind die Beihilfen durch gleich hohe Steigerungen fast nivelliert worden.

Zehn Jahre hindurch verschob die Familienförderung der Regierung den Schwerpunkt von den direkten auf die indirekten Hilfen - mit allen unliebsamen Nebenerscheinungen, die an sich richtige Maßnahmen diskreditierten -, nun betont die Familienstaatssekretärin, daß den direkten Hilfen der Vorrang gegeben werden solle. Spät kommt's.

Der Regierungsbericht verschweigt nicht, daß sich die Fachleute über die negativen Auswirkungen der außerhäuslichen Berufstätigkeit der Mutter kleiner Kinder voll im klaren sind. Sicher - man will ihr helfen,' leider aber zu wenig durch Anreize und Möglichkeiten, wenigstens die ersten Jahre beim Kind bleiben zu können und schon gar nicht, indem man alle Möglichkeiten moderner Öffentlichkeitsarbeit und Meinungsbildung darein setzt, den Willen zum Kind, das Bekenntnis zur Familie zu fördern und wachsen zu lassen.

„Die Zeit muß wiederkommen, daß man den Leib einer Frau, die ein Kind erwartet, als gesegnet ansieht, statt daß sich die Familien nur Sorgen machen, ob mit der Ankunft des Kindes ihr Wohlstand sinke und wie man die Lasten auf den Staat abschieben könne.“

Diese Hoffnung sprach dieser Tage die 86jährige Alterspräsidentin der konstituierenden Sitzung des Europaparlaments, Louise Weiss, aus. Von Elfriede Karl wären solche Worte auch nicht zu erwarten gewesen.

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