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Familie und Umwelt im Rechnen und Zeichnen

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Die Politische Bildung - in den letzten Monaten zum Reizwort ersten Ranges avanciert - wird in Kürze wieder in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Aktueller Anlaß ist die Auslieferung der längst erwarteten Begleitmaterialien des Unterrichtsministeriums, die nun im Gange ist. Damit erhalten rund 80.000 Lehrer in ganz Österreich Beispiele, die ihnen die Umsetzung des Unterrichtsprinzips „Politische Bildung“ laut Grundsatzerlaß in den verschiedenen Unterrichtsfächern ermöglichen sollen. Die Form der Verteilung - sofort oder im Rahmen der nächsten Fortbildungsveranstaltung - bleibt den einzelnen Schulen überlassen.

Ob die Diskussion, die seit dem Erscheinen des Grundsatzerlasses vielfach äußerst polemisch geführt wurde, dadurch sachlicher wird, bleibt abzuwarten. Es ist viel eher zu befürchten, daß Gegner und Befürworter ihre Angriffe und Argumente bereits vorprogrammiert haben: was für die einen ein „alter Hut“ ist („Mache ich schon längst“), ist anderen bereits zu „progressiv“ („Lohnprobleme haben in der Schule nichts zu suchen“); für die große Mehrheit der Lehrer allerdings stellt das Unterrichtsprinzip eine reine Utopie dar, die durch die Unterrichtsmaterialien kaum an Realität gewinnen wird.

Vorweggenommen: wer Brisanz erwartet hat, wird enttäuscht sein. Vordergründige Politik ist ausgespart, wie man überhaupt den Eindruck gewinnt, daß hier nicht provoziert, sondern versucht wurde, an Hand aktueller Themen einen Realitätsbezug zwischen Unterricht und außerschulischer Umwelt der Schüler herzustellen. So rangiert die Familie als wichtigstes Umfeld in den Beispielen für Vorschulklassen, Volks-, Sonder- und Hauptschulen sowie der Unterstufe für die Gymnasien und Realgymnasien. In den Vorschlägen für die Gestaltung des Unterrichtsprinzips in der Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen steht das Thema „Der Mensch und

seine Umwelt“ im Mittelpunkt. Die Beispiele für den Polytechnischen Lehrgang beziehen sich in erster Linie auf die Arbeitswelt des in Kürze ins Berufsleben tretenden jungen Menschen.

Das sieht in der Praxis für die Sechs- bis Zehnjährigen so aus, daß Sprachübungen aus Gesprächen in der Familie hergeleitet werden, Rechnen auf das Taschengeld und seine Probleme Bezug nimmt, der Religionsunterricht die Familie als Ausgangspunkt für religiöses Erleben nimmt, in Bildnerischer Erziehung Familienbilder gezeichnet werden und der Musikunterricht entsprechende Liedtexte als Diskussionsgrundlage aufgreift.

Die Zehn- bis Vierzehnjährigen erweitern ihre mathematischen Kenntnisse an Hand der Berechnung/ von Löhnen oder der Größe einer Wohnung, Anlaß genug, Lohn- oder Wohnprobleme zu besprechen. Texte im Deutsch- und Fremdsprachenunterricht, Musik und Malerei können die Basis für die Diskussion der Rolle von Mann und Frau in der Gesellschaft bilden. Die Besprechung psychosomatischer Erkrankungen im Biologieunterricht sollte selbstverständlich zu einem Gespräch über die Ursachen solcher Erkrankungen führen.

In der Oberstufe der AHS lassen sich beispielsweise Themen der Umwelt an Hand literarischer, fremdsprachiger und philosophischer Texte ebenso besprechen, wie das Thema „Schwertransporte in Österreich“ mit einer Diskussion um Kostenprobleme und Umsatzkurven von Transportunternehmen zur Extremwertberechnung und zur Trigonometrie führen kann.

Jedes Unterrichtsbeispiel ist nach Lernziel, Arbeitsmittel, Unterrichtsverlauf, weiterführenden Themen und Literatur aufgegliedert, stellt also kritische Anregungen für einen möglichen Stundenablauf dar. Mehr war mit diesen Materialien auch nicht beabsichtigt.

Wesentlich bei allen Unterrichtsbeispielen ist, daß - ein absolutes Novum in Unterrichtsbehelfen -Konflikte und ihre Lösung den Schwerpunkt bilden. Hier können die Beispiele, richtig angewendet, jene vom Grundsatzerlaß geforderten Einsichten' und Verhaltensweisen vermitteln, die die Schüler erkennen lassen, daß jedem Argument ein anderes gegenübersteht, daß jeder Standpunkt und jedes Verhalten die Folge einer Entscheidung sein muß.

So manchem mag diese Auffassung von Politischer Bildung zu weit oder zu eng gefaßt sein, zweifellos aber kann sie die Grundlage dafür bilden, daß Schüler ihre Umwelt bewußt und kritisch zur Kenntnis nehmen. Ob das gelingt, ist nicht so sehr eine Frage der Qualität der nun erschienenen Stundenbilder, sondern vielmehr eine Frage der Grundhaltung des Lehrers.

Bei der Auseinandersetzung mit den Begleitmaterialien zur Politischen Bildung als Unterrichtsprinzip gilt noch mehr als für andere Unterrichtsbehelfe: sie sind so gut oder so schlecht wie die Lehrer, die sie verwenden. Hier soll die Sozialisation des Schülers gleichwertig neben der Wissensvermittlung stehen, der Lehrer kann dieses Wissen jedoch nur seiner eigenen' Sozialisation und seinem Weltbild entsprechend weitergeben. 1

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