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Familie und Verfassung

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Das österreichische Verfassungsrecht spricht in einem einzigen Dokument von der Familie, und diese Regeln sind originär nicht auf der österreichischen Rechtstradition gewachsen: die Achtung des Familienlebens wird im Artikel 8 der Europäischen Konvention für Menschenrechte und Grundfreiheiten ausgesprochen. Das Recht, eine Familie zu gründen, wird im Artikel 12 dieser Konvention festgelegt. Beide Bestimmungen gehören in Österreich dem Verfassungsrecht an. Das ist aber auch schon alles, was das Verfassungsrecht hergibt.

Diese verfassungsrechtlichen Bestimmungen werden zwar nicht von österreichischen Instanzen besonders angewendet - ich kenne keinen Fall, wo diese Bestimmungen in spektakulärer Weise herangezogen worden wären. Aber die Organe des Europarates haben sich mit deh'Regelungen auseinanderzusetzen gehabt. Das kann auch in einer Studie des Europarates „Family Life“ von 1972 nachgelesen werden. Die Durchsicht der einzelnen Entscheidungsfalle zeigt, wann sich Menschen auf den Schutz der Familie berufen haben; das zeigt, was sich einzelne in ihren mit der Familie zusammenhängenden Rechten bedroht gefühlt haben.

Es ist die Frage der Trennung der Familieneinheit durch Entscheidungen der Strafgerichte über Haftstrafen oder die Untersuchungshaft, durch Entscheidungen der Verwaltungsbehörden über die Ausweisung eines Farrülienmitgliedes. Das zweite Hauptproblem ist die Anerkennung der Familienzugehörigkeit wie sie durch Scheidungsurteile, durch das Besuchsrecht der Kinder bei den geschiedenen Elternteilen, durch die Anerkennung eines Kindes als das Kind eines bestimmten Vaters aufgeworfen werden.

Das dritte Hauptproblem ist die Frage der Familiengründung und die Frage der Heirat an und für sich - das Problem in Europa ist gewiß nicht die Diskussion über „mixed marriages“,wie sie in den diskriminierenden Rassengesetzen verboten waren oder -wenn man an Apartheid denkt - noch immer verboten sind. Das Problem betrifft die Eheschließung im Gefängnis, es berührt Statusfragen von Gastarbeitern, die einer nichtchristlichen Religion zugehören.

Wenn man zudem noch die Bezugsstellen aufsucht, die mit den Bestimmungen über die Familie zusammenhängen, dann wird das Bild noch plastischer: Als Ausfluß des Familienprinzips findet sich die Kindererziehung und die Autorität über die Religionserziehung der Kinder, die unter dem Ausdruck Elternrecht zusammengefaßt werden. Artikel 2 des Ersten Zusatzprotokolls deckt diesen Bereich ab. Wenn man noch einen Stock tiefer steigen will, dann findet sich im Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention das Recht auf Leben, das - so verstanden, wie es die Aktion Leben versteht - mit der Familie in engem Zusammenhang steht. Wie bekannt, hat die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes über den Widerspruch der Abtreibungsbestimmungen des neuen österreichischen Strafgesetzbuches mit dem Artikel 2 der Konvention jeder auf die Familie hinziehenden Interpretation der Bestimmung die Tür zugeschlagen.

Die Bestimmungen der Europäischen Konvention setzen die Existenz der Familie voraus, im Verfassungsrecht finden sich keine näheren Hinweise, wie es sich die Familie und ihre Funktion in der modernen Gesellschaft vorstellt Mit dem in absehbarer Zeit zu erwartenden Beitritt Österreichs zu den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen, wird sich Österreich zu einer grundsätzlicheren Aussage über die Familie bekennen. Artikel 23 des UN-Paktes über die zivilen und politischen Rechte enthält die Aussage, daß die Familie die natürliche und grundlegende Einheit der Gesellschaft ist und Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat hat. Dieser Fundamentalsatz, der eine gewisse Vorbildung in der Europäischen Sozialcharta (Artikel 16) hat, wird nicht in Verfassungsrang gehoben werden.

Mit diesem Fundamentalssatz wird weltweit ausgesprochen, was in der österreichischen Rechtsordnung verfassungsrechtlich unausgesprochen immer mitgedacht wurde: Daß die Familie die Grundfeste der freien Gesellschaft ist, so wie die Gemeinde als Grundfeste des freien Staates anerkannt wurde (1849)! Wenn die österreichische Rechtsordnung diese Bedeutung der Familie auch nicht wörtlich anerkannt hat, so hat sie diese Bedeutung schon längst vorausgesetzt Sie ist vom Christentum jahrhundertelang so geprägt worden, daß sie zum europäischen Erbe, zu dem sich der Europarat bekennt, gerechnet werden kann. Man brauchte offensichtlich die Familie im Staatsgrundgesetz über die Allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 nicht besonders zu erwähnen, weil man - so wie das Recht auf Leben - die Familie zum Grundwert der Gesellschaft rechnete.

Anders wird es in einem Zeitraum, wo die Grundwerte auf ihre weitere Gültigkeit hin hinterfragt und neue Bedeutungsinhalte in diesen Grundwerten gesucht werden. Ein ganz deutliches Beispiel für diesen Prozeß bietet der plötzliche Einbruch in die Vorstellung vom Leben als die machthabende Gruppe einen teilbaren Lebensbegriff konstruierte (Abtreibung!).

Ähnlich geht es der Familie. Was sie ist, scheint nicht mehr gesichertes Gut - ist es die durch das Eheband zusammengefügte Gemeinschaft, ist es die Lebensgemeinschaft, die sich allein auf Interessen oder Zuneigung stützt, ist es die Großfamilie im Sinne afrikanischer Familienvorstellungen, ist es die Kommune, die familienähnliche Funktionen zu erfüllen sucht, die unter den rechtsgültigen Familienbegriff fallen? Welche Vorstellungen entwik-keln Steuerrecht und Personenstandrecht von der Familie?

Das rechtliche Fundament der Familienvorstellung findet sich in dem ehrwürdigen Grundgesetz über die persönlichen Beziehungen der Bürger unter sich - in dem ABGB von 1811. Dieses ehrwürdige Grundgesetz wird von der sozialistischen Justizreform gerade hinsichtlich der Familie entscheidend getroffen Das Problem wird von allen im Parlament vertretenen Gruppen zäh verhandelt. Die Familienreform wird von allen Gruppen für entscheidend gehalten. Aber nicht nur hier in Österreich, in ganz Europa ist sie Gegenstand von Verhandlungen. Warum, das sei dahingestellt: die faktischen Verhältnisse hätten die Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft überholt - das mag im Bereiche des Ehescheidungsrechtes richtig sein, muß aber nicht für alle anderen Fragen der Familie gelten.

Die Familienreform, auch wenn sie einfachgesetzlich durchgeführt werden wird, muß aber ihre Rückwirkung auf das verfassungsrechtliche Verständnis von der Familie haben. Daß man sich zur Familie bekennt - gleichgültig ob in diesem oder jenem Parteiprogramm, gleichgültig ob in dieser oder jener internationalen Dokumentation -, beweist noch gar nichts darüber, zu welcher Type von Familie man sich bekennt. Das Verfassungsverständnis in Österreich scheint wohl einen christlichen Familienbegriff vorauszusetzen, ob es aber einen solchen „versteinert“ haben kann, muß man im Hinblick auf die in gesellschaftspolitischen Fragen flexibel gewordene Judikatur des Verfassungsgerichtshofes bezweifeln. Die politischen Parteien müßten den Konsens über die Bedeutung und Funktion der Familie finden.

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