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Familienpflicht vor Steuerpflicht

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Die ÖVP hat sich zu einem bemerkenswerten Schritt durchgerungen: Im Zusammenhang mit der Milderung der inflationsbedingten Progression des Einkommensteuertarifs verlangt sie die Wiedereinführung der Kinderfreibeträge, eines Betrages, der als ein Teil der Kosten angenommen wjrd, die mit der Erhaltung und Erziehung eines .Kindes aufgewendet werden müssen und - da die steuerliche Leistungsfähigkeit schmälernd — vor der Versteuerung des Einkommens von diesem abgezogen wird. Die Kinderfreibeträge sind Anfang 1968 unter der ÖVP-Alleinregierung eingeführt, fünf Jahre später in der Ära der SPÖ-Al-leinregierung zunächst in Kinderab-setzbeträge umgewandelt worden, also in Beträge, die von der zu zahlenden Einkommensteuer abzuziehen waren. Mit Jahresbeginn wurden diese nun ganz beseitigt und in ihrer zuletzt erreichten Höhe den Familienbeihilfen zugeschlagen, die nun zwölf mal jährlich ausbezahlt werden. Die Familienerhalter zahlen seither die Einkommensteuer wie jeder Kinderlose: der Familienlastenausgleich findet lediglich über die Familienbeihilfe statt.

Dies wurde mit dem Schlachtruf „Jedes Kind ist dem Staate gleich viel wert“ politisch so geschickt verkauft, daß sogar der Opposition zunächst die Argumente ausgeblieben sind und dieser Schritt auch von Vertretern der Familienverbände begrüßt wurde!

Wie immer häufiger aber entpuppt sich die scheinbar sehr simple Frage: „Was ist wem gleich?“ als eine prinzipielle Frage nach der Stellung des Steuerzahlers gegenüber dem Staat: Muß der Steuerzahler zuerst seinen Obolus an den Staat entrichten und hat der Staat dann die Pflicht, die finanzielle Belastung der Familie durch eine Subvention großzügig zu mildern, oder schmälern diese Familienlasten die steuerliche Leistungsfähigkeit des Einkommensteuerpflichtigen, sodaß die Steuerpflicht erst nach Berücksichtigung der der Familie gegenüber bestehenden Verpflichtungen beginnt? Der praktisch sehr bedeutende Unterschied liegt darin, daß im zweiten Falle die Steuertabelle für ein um die Kinderfreibeträge verkürztes Einkommen angewendet wird und damit einer niedrigen Progressionsstufe unterliegt, während im ersten Fall die Progression mit voller Wucht zuschlägt.

Was ist hier gleich: der Betrag, den ein Kind dem Familienerhalter durch den Lastenausgleich „bringt“ oder der Betrag, um den ein Kind das steuerpflichtige Einkommen des Familienerhalters reduziert? Bei aller Schwierigkeit, im allgemeinen festzustellen, was wirklich „gerecht“ ist, gibt es in diesem Falle doch wohl nur eine Lösung: Wer akzeptiert, daß ein höheres Einkommen einer höheren Progressionsstufe und damit einer unverhältnismäßig höheren Besteuerung unterliegt, der muß auch akzeptieren, daß ein geringeres steuerpflichtiges Einkommen mit einer unverhältnismäßig geringeren Besteuerung verbunden ist, gleich ob die Verringerung der steuerpflichtigen Einkommen durch eine geringere Entlohnung oder durch Familienlasten verursacht ist. Daß hier mit einem ideologischen Augenmaß gemessen wird, beweist der Umstand, daß es die Architekten der derzeitigen Regelung gar nicht stört, wenn gerade das KFZ-Pauschale als Freibetrag dem Besserverdiener durch die Progres-i sionsmilderung sehr wohl mehr bringt.

Hinter der Idee des Familienlastenausgleiches - einem sehr wesentlichen Sektor der Sozialen Marktwirtschaftsteht die Absicht, zu verhindern, daß der „Divisor Kind“ andernfalls für die überwiegende Anzahl der Familien ein beträchtliches Abfallen ihres Lebensniveaus zur automatischen Folge hat. Die Kombination zwischen der für alle Familien gleich hohen Beihilfen mit den progressionswirksamen Freibeträgen entsprach einem in sich geschlossenen und logischen Konzept, das noch aus den besten Zeiten der Großen Koalition stammte: im Motivenbericht zum Familienlastenaus-gleichsgesetz 1955 wurde nicht nur eine überzeugende Begründung für diesen Lastenausgleich gegeben, sondern auch das sinnvolle Zusammenwirken beider Instrumente erläutert. Die Beihilfen sollten in ihrem endgültigen Ausmaß eine solche Höhe erreichen, daß auch der kinderreichen Familie eine auskömmliche Lebensgestaltung möglich wird.

Der Familienlastenausgleich wurde nicht als Ausgleich zwischen reichen und armen Familien, sondern zwischen Kinderlosen und Familienerhaltern derselben Einkommensstufe, also „schichtenspezifisch“ verstanden. Dieser Bericht war damals von den Abgeordneten Ferdinanda Flossmann (SPÖ) und Josef Reich (ÖVP) unterzeichnet worden.

Freilich müssen beide Einrichtungen, die Familienbeihilfe und die Kinderermäßigung folgerichtig auch wirklich zusammen gesehen werden. Je höher die Beihilfe, einer desto geringeren Kinderermäßigung bedarf es, um der unterschiedlichen steuerlichen Leistungsfähigkeit gerecht zu werden. Beide zusammen sollen die Durchschnittskosten eines Kindes oder mehrerer Kinder erreichen. Die seit Jahresbeginn alleinige Beihilfe beträgt für das erste Kind 880 Schilling, für zwei Kinder 1800 Schilling. Auf Grund einer jüngsten statistischen Erhebung in der Bundesrepublik Deutschland muß man heute mit - umgerechnet - zwei-bis dreitausend Schilling pro Kind und Monat rechnen. Was hier fehlt, ist offensichtlich die steuerliche Berücksichtigung jener materiellen Belastung, die durch die Beihilfe nicht abgedeckt .ist, und deren prpgressions-mildernde Anerkennung sicherlich mindestens ebenso wichtig und begründet wäre wie etwa die des KFZ-Pauschales.

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