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Familienpolitik bedarf der Utopie

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Familien sind nicht notwendige Übel zur Produktion neuer Steuerzahler oder bloß Delegierte von Staat und Gesellschaft, sondern Eigenständige Sozialgebilde, die ihren Wert und ihr Daseinsrecht in sich selbst tragen. Es wäre zutiefst inhuman, Familienpolitik nur von Nützlichkeitserwägungen aus zu betreiben. Der Eigenwert der Familie muß in unserem Volk erkannt und anerkannt bleiben.

Als Keimzelle und Wurzel der Gesellschaft ist Familie hineingebettet in ein Geflecht nicht nur individueller, sondern auch gesellschaftlicher Beziehungen und Bedingungen. Das Ja zu Familie und Kind ist daher von jedem einzelnen (auch wenn dieser als seinen Lebensweg nicht den der Familie wählt) und von der Gesellschaft und ihren Substrukturen zu sagen.

Politik, Volksbildung, Mediengestaltung, Städteplanung,

Wohnbaupolitik u. a. m. tragen mit an der Verantwortung für die Familien in unserem Lande.

Im gesellschaftlichen Bereich kommt das Ja zu Familie und Kind zum Ausdruck:

• in der Anerkennung und positiven Wertung der Familien als eigenständige Größe;

• im Heraushalten der Familienproblematik aus Parteienstreit und Wahlkämpfen (wie die Neutralitätspolitik sollte auch die Familienpolitik aus Parteienhader soweit wie möglich herausgehalten werden!)

• inderVerwirklichungdesSub- sidiaritätsprinzips (Was die Familie in eigener Kompetenz wahrnehmen kann, sollte ihr nicht von der Gesellschaft abgenommen, sondern ermöglicht werden!);

• inderSchaffungoptimalerBe- dingungen für ein Ja zu Familie und Kind, nicht zuletzt durch entsprechende Lohn- und Steuerpolitik;

• in der Suche nach einer neuen Synthese von Fainilien- und Arbeitswelt (Als Zeit für die Familie dürfte nicht nur das bleiben, was von der Arbeitszeit übrigbleibt!); • in der Bemühung um eine Einheit von Bildungs- und Familienpolitik (Keine Schulpolitik, die das Kind von der Familie wegführt!).

Es ist weder gesund, noch demokratisch, noch fortschrittlich, noch gesellschaftsaufbauend, die Normen und Leitbilder für Familienleben und Familienpolitik allein aus dem abzuleiten, was de facto praktiziert wird. Familienpolitik bedarf der „Utopie“ des Idealbildes einer normalen, einer heilen Familie als ethisch fundierende Idee und Orientierungsfunktion.

Empirische Tatsachenerhebung ist wertvoll. Sie liefert jedoch nicht die Antwort auf die Frage, was gut und richtig ist. (Wenn 99 % ein Vorurteil gegen Gastarbeiter hegten oder Umweltverschmutzung betreiben, so ist trotz dieser statistisch signifikanten Zahl weder der Gastarbeiter schlecht noch die Umweltverschmutzung gut!). Neben der empirischen Forschung bedarf Familienpolitik (in stärkerem Maß als dies bei uns oft praktiziert wird) auch der normativ-reflek- tierenden Fragestellung nach dem Richtigen und seiner Begründung.

Nicht Nivellierung und falsche Gleichmacherei sondern Individualisierung fördert lebendige Vielfalt und Gerechtigkeit. Wer Familienpolitik und Erziehung zur Familie nur am „austauschbaren Rollenverhalten“, nur an dem was Mann und Frau gleicherweise wahrnehmen können, orientiert, drängt die Mütter aus den Familien und verkennt den Beitrag, den die nicht außerhäuslich tätige Mutter für die Gesellschaft leistet.

Das Ja zu Familie und Kind bedarf einer differenzierten und dif-

ferenzierenden Sicht. So sollte die Stellung der Frau in der Familie nicht nur unter dem Gesichtspunkt „berufstätig—nicht berufstätig“ gesehen werden.

Frauen, die sich ganz der Familie widmen, Frauen die die Doppelbelastung von Berufstätigkeit und Mutteraufgabe auf sich nehmen, Frauen, die nach einer Zeit ausschließlichen Daseins für die Erziehung ihrer Kinder wieder in den Beruf zurückkehren, Frauen, die als „Single“ sich ausschließlich für einen Beruf entscheiden (was nicht nur „Freiheit“ sondern ebenso auch eine „Bindung“ einschließt, nur eben eine an die berufliche Lebensaufgabe und den „einsamen“ Lebensweg) dürfen von Gesellschaft und öffentlicher Meinung nicht gegeneinander ausgespielt werden. In freier Entscheidung leistet jede von ihnen für das Gemeinwohl ihren spezifischen Beitrag. Eine Abwertung einer Gruppe — etwa der „Nur- Hausfrauen“ — unterminiert Familie und Gesellschaft!

Im individuellen Bereich erfordert das Ja zu Familie und Kind Grundhaltungen und Grundeinsichten: Nur wer das Leben als solches als sinnvoll und lebenswert erfährt, wird bereit sein, es Kindern weiterzugeben.

Vatersein, Muttersein, Familiesein sind nicht bloße Gegebenheiten sondern Aufgaben. Familienleben ist ein permanenter Lernprozeß zumal in einer Zeit, wo weder das Erbe der Instinkte noch Verhaltensmuster, die aus der Tradition überkommen sind, das „Funktionieren“ garantieren.

Als „Hochschule humaner Qualifikation“ (II. Vaticanum) ist ge-

glücktes Familienleben abhängig von der (durch Erziehung und Bildung zu fördernden) Bereitschaft zur Selbsterziehung. Geglücktes Familienleben ist Frucht von Leistung, Energie und Arbeit (an sich selbst!).

Väterlichkeit und Mütterlichkeit dürfen nicht als bloße biologische und ökonomische Akte von

Zeugung, Gebären und Versorgen gesehen werden. Sie sind auch geistige Reifungsprozesse, Wege zur Sinnfindung und Sinnerfüllung. Kinder dürfen nicht nur als finanzielle und nervliche Belastung gewertet werden. Sie sind ein Stück „anvertrautes Gut“, nicht Objekte, sondern Partner, und die in unsere Hände gelegte Zukunft.

Familie ist immer Brücke zwischen Herkunft und Zukunft. Daher sollten trotz der Tendenz zur Kontraktion auf die Kleinstfamilie Wege zur Öffnung der Familien (Großeltern, Verwandte,

Nachbarn, Nachbarschaftshilfe…) gesucht werden.

Das Ja zu Familie und Kind bedarf einer „rechten Weise der Liebe“ (Erwin Ringel). Liebe im Vollsinn des Wortes ist nicht allein eine Sache der Affekte, Gefühle und Emotionen. Sie ist Ausdruck der Wertschätzung der Partner: Ich kann mich auf dich verlassen. Sie ermutigt, baut Angst ab, ermöglicht Entfaltung, Wärme, Rücksichtnahme, Verstehen, Vertrauen, Geborgenheit und ist immer gepaart mit Treue: Ich habe Ja zu dir gesagt und bin nun bei dir im Wort. Lieben lernen in diesem Sinne heißt zugleich ein Stück Welt verbessern.

Familie ist nicht Fessel und Enge! Sie muß als Möglichkeit schöpferischer Entfaltung gesehen und entdeckt werden. Ein Ją zu Familie und Kind wird unsere Jugend nur sagen, wenn sie Fami- liengestaltung und Familienkultur nicht bloß als festes Gehäuse vorfindet, das wir ihnen bauen, sondern als lockendes Ziel, das ihre Kreativität und ihr Engagement herausfordert.

Ja zu einer christlichen Ehe und Familie sagen heißt, in freier Entscheidung ein alternatives Familienleben wählen, das weder al

lein von Sympathie oder Nützlichkeitsdenken, noch von Bequemlichkeit oder Profit bestimmt ist, noch als bloße und vorübergehende Episode auf dem Lebensweg im Geiste des Evangeliums.

Kirchliche Eheschließung und christliches Familienleben sollten nicht allein unter dem Gesichtspunkt moralischer Pflichten und Verpflichtungen) sondern unter Aspekt des „Zeichens einer besseren Zukunft“ und des Bezeugens von Liebe und Leben (Bischofssynode 1980) wahrgenommen (im doppelten Sinne des Wortes!) werden.

Positive Ansätze für ein gesellschaftliches und individuelles Ja zu Familie und Kind in Österreich sind u. a.:

Die staatstragenden Parteien anerkennen Bedeutung und Wert der Familie.

Empirische Untersuchungen aus Österreich zeigen, daß die überwiegende Mehrheit der Österreicher die Bedeutung der Familie erkennt und anerkennt.

Das Ja zu Familie und Kind kann vom Vertrauen getragen werden, daß es zutiefst verwurzelt ist in unserem Menschsein, daß es korrespondiert mit Ursehnsüchten unserer Menschennatur, daß es als Menschenrecht abgesichert und anerkannt ist und sich als sehr widerstandsfä-

hig gegenüber „Abbautendenzen“ erweist.

Das Ja zu Familie und Kind könnte durch eine Revision des gegenwärtig verbreitenden Sprachgebrauches nicht unwesentlich gefördert werden. Wer statt von einer Vater- und Mutterrolle (= soziologischer Sprachgebrauch) von der Vater- und Mutteraufgabe (= positiv-wertender Sprachgebrauch) spricht, verstärkt familienfördernde Grundhaltungen.

Wer Freiheit nicht nur als Freisein von etwas (Singles sind frei von Familienbindungen) sondern auch als Freisein für etwas (Eltern realisieren eine freie Entscheidung für einen alternativen Lebensweg) sieht, bleibt frei von verengenden Klischeevorstellungen.

Wer nicht nur von Sozialisation und Lernprozessen, sondern ebenso von Erziehung und Wertverwirklichung redet, fördert Verantwortung Entscheidungsbewußtsein gegenüber der bloßen Anpassungstendenzen.

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