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Fanal und Wendemarke

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Fanatische Waldheim- Gegner überlegen bereits ein Volksbegehren, um die Absetzung des Bundespräsidenten zu betreiben. Ist das eine Folge des Wiener SPÖ-Parteitages?

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Fanatische Waldheim- Gegner überlegen bereits ein Volksbegehren, um die Absetzung des Bundespräsidenten zu betreiben. Ist das eine Folge des Wiener SPÖ-Parteitages?

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Der mit 268 zu 217 Stimmen gefaßte Beschluß des Landesparteitages der Wiener Sozialisten vom 27. Juni 1987, Bundespräsident Kurt Waldheim zum Rücktritt aufzufordern, hat unterschiedlichste Reaktionen ausgelöst. Während die einen davon sprechen, daß die Zusammenarbeit der Regierungsparteien hiedurch in keiner Weise gefährdet sei, sehen andere wiederum nicht zuletzt infolge des Umstandes, daß dem Wiener Landesparteitag im Herbst der Bundesparteitag der SPÖ folgen werde, die Situation keineswegs so optimistisch. Ich persönlich zähle mich zur letzteren Gruppe, der die jüngste Entwicklung einige Sorgen bereitet.

Drei Aspekte sind es vor allem, die alle politisch Verantwortlichen zu einem Nachdenkprozeß anregen sollten. Der nach 1945 oft zitierte Satz „Die einen waren keine Demokraten, die anderen keine Patrioten“ bezog sich wohl auf die Erste Republik und die damals maßgeblichen politischen Kräfte. Nichtsdestoweniger scheint es mir mit Rücksicht auf gewisse Tendenzen, die gerade auf dem Landesparteitag der Wiener Sozialisten vom 27. Juni 1987 nicht zu überhören und nicht zu übersehen waren, notwendig zu sein, in aller Ruhe, aber auch mit der notwendigen Deutlichkeit auf einige Umstände besonders hinzuweisen.

Zuerst einige Bemerkungen zum Demokratieverständnis. Es ist unbestritten, daß wir Österreicher diesbezüglich nicht zuletzt aufgrund der in der Ersten Republik gemachten Erfahrungen einiges dazugelernt haben. Der Lernprozeß ist allerdings, wie sich am Fall Waldheim nun allzu deutlich zeigt, noch keineswegs abgeschlossen. Wer sich mit Recht als Demokrat bezeichnen will, hat demokratisch zustande- gekommene Entscheidungen des Volkes ohne jede Einschränkung und ohne jeden Vorbehalt zur Kenntnis zu nehmen. Dieser Grundsatz ist einer der tragenden Pfeiler in einer parlamentarischen Demokatie.

Dies hat für die ÖVP bei allen Bundespräsidentenwahlen, bei denen die Kandidaten der Sozialistischen Partei gewählt wurden, ohne jeden Wider spruch gegolten. Vom Tag ihrer Wahl an waren sie die Bundespräsidenten des ganzen österreichischen Volkes. Dieser in einer Demokratie selbstverständliche Grundsatz muß glei chermaßen auch für Kurt Waldheim gelten.

Und nun einige Bemerkungen zur Frage Patriotismus und Patrioten. Nicht nur aufgrund des Wählerentscheides vom 23. November 1986, sondern vor allem auch aufgrund der unabdingbar notwendig gewordenen Sanierung auf allen Gebieten, insbesondere des völlig zerrütteten Staatshaushaltes, hat sich die Zusammenarbeit der großen Parteien als die einzige Möglichkeit zur Aufarbeitung des von Bruno Kreisky hinterlassenen Erbes nicht nur angeboten, sondern als zwingend notwendig erwiesen.

Sie hat sich mittlerweile bereits als durchaus fähig erwiesen, der ihr gestellten Aufgaben gerecht zu werden.

Wem wirklich daran gelegen ist, daß Österreich wieder auf gesunde Beine gestellt wird und einer gesicherten Zukunft entgegengeht, muß als politisch Verantwortlicher alles tun, damit die Zusammenarbeit funktioniert. Ich betrachte es daher geradezu als eine patriotische Verpflichtung jedes maßgeblichen Politikers der ÖVP und der SPÖ, alles zu unterlassen, was die Zusammenarbeit und damit das Sanierungswerk gefährden könnte und alles zu tun, um das mit dem Arbeitsübereinkommen vom 16. Jänner 1987 begonnene Werk zu einem guten Ende zu bringen.

Zum Schluß ein Wort an alle jene, die sich bisher immer noch nicht damit abfinden konnten, daß nicht einer der ihren zum Bundespräsidenten gewählt wurde und die daher das Verlangen stellen, Bundespräsident Waldheim solle den Weg zu einer neuen Bundespräsidentenwahl freimachen. Offensichtlich sind sie sich in keiner Weise über die unheilvolle Tragweite einer derartigen Vorstellung im klaren.

Ganz abgesehen davon, daß es demjenigen, der glaubte, Märtyrer schaffen zu müssen, noch nie gut-. getan hat, wenn er sein Ziel letzten Endes wirklich erreicht hat, würde ein erzwungener Rücktritt des Staatsoberhauptes Gräben innerhalb des österreichischen Volkes aufreißen, die nicht sobald wieder zugeschüttet werden könnten. Genau das ist aber das allerletzte, was das österreichische Volk in der gegenwärtigen Situation brauchen könnte.

Ich kann nur hoffen, daß alle jene, die in der Koalition und für sie die letzte Verantwortung tragen, sich dieser auch tatsächlich bewußt sind beziehungsweise bewußt werden, wozu ein Nachdenkprozeß in diesen Urlaubstagen hoffentlich einen wertvollen Beitrag leisten wird.

Was immer der eine oder andere über die Bedeutung des Beschlusses des Wiener Sozialistischen Parteitages vom 27. Juni 1987 denken mag, eines steht jedenfalls fest: für viele war er ein Signal, für manche ein Fanal und für mich persönlich eine Wendemarke, über deren Bedeutung sich - wie ich nur hoffen kann — niemand irgendwelchen Illusionen hingeben möge.

Die Stunde ist gekommen, in der diejenigen, die die Hauptverantwortung für das Gelingen des mit dem Arbeitsübereinkommen vom 16. Jänner 1987 eingeleiteten Sanierungswerkes tragen, unter Beweis stellen müssen, daß sie gleichermaßen überzeugte österreichische Patrioten und ehrliche Demokraten sind. Videant consu- les, ne quid res publica detriment! capita. (Die Konsuln mögen dafür sorgen, daß die Republik keinen Schaden nimmt)

Dar Autor ist Vizekanzler a. IX

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