6834986-1975_09_07.jpg
Digital In Arbeit

Farbenfrohe Hüte…

19451960198020002020

„Die Konservative Partei braucht mehr Männer vom Kaliber einer Mrs. Tatcher“, sagte ein bekannter Tory-Politiker schon vor mehreren Wochen, als die blonde, elegante Margaret, Abgeordnete für einen Nordlondoner Wahlkreis und Ex-Erziehungs- ministerin, erstmals ihre Absicht bekanntgab, sich im offenen Kampf gegen Edward Heath um die Führung der Konservativen Partei zu bewerben. Aber freilich, all das, was in den Wochen bis zum 11. Februar über Margaret Thatcher gesagt und geschrieben wurde, klang ein wenig wie Theaterdonner.

19451960198020002020

„Die Konservative Partei braucht mehr Männer vom Kaliber einer Mrs. Tatcher“, sagte ein bekannter Tory-Politiker schon vor mehreren Wochen, als die blonde, elegante Margaret, Abgeordnete für einen Nordlondoner Wahlkreis und Ex-Erziehungs- ministerin, erstmals ihre Absicht bekanntgab, sich im offenen Kampf gegen Edward Heath um die Führung der Konservativen Partei zu bewerben. Aber freilich, all das, was in den Wochen bis zum 11. Februar über Margaret Thatcher gesagt und geschrieben wurde, klang ein wenig wie Theaterdonner.

Werbung
Werbung
Werbung

Er wurde einerseits produziert, um Edward Heath das Verlangen seiner Partei nach einer radikalen Änderung konservativer Politik unmißverständlich klarzumachen; anderseits aber, um nach dieser „Schocktherapie“ den Weg zur Parteispitze für Willam Whitelarw zu ebnen, den gediegenen, konzilianten früheren Nordirlandminister, der im letzten Augenblick wie ein Deus ex Machina auf der Szene erscheinen und sich nach einigem Zögern dazu überreden lassen sollte, das schwankende Tory- Schiff wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Selbst nach dem ersten Wahlgang, nach Mrs. Thatchers Sieg über Heath und nach dessen Rück tritt, gab es in der Konservativen Partei selbst und unter den politischen Kommentatoren kaum jemanden, der nicht mit einem schließ- lichen Triumph Whitelaws rechnete, wenn vielleicht auch erst im dritten und letzten Wahlgang.

Aber Margaret Tatcher führte alle diese konventionellen Meinungen ad absurdum, als sie schon im zweiten Walgang 146 der 276 konservativen Abgeordneten davon überzeugt hatte, daß mit ihr und nur durch sie die Rettung, die Renaissance möglich sei, und nicht durch den ewigen Zauderer William Whitelaw, der mit nur 79 Stimmen die gerechte Quittung erhielt.

Wer ist nun diese ungewöhnliche Frau, die eine so sensationelle Entwicklung für ihre Partei ebenso wie für die gesamte britische Politik herbeizuführen vermochte, diese Frau, die sehr wohl Großbritanniens erster weiblicher Premierminister werden könnte — vielleicht schon früher, als man denkt, und ganz aus eigener Kraft, nicht als Tochter oder Witwe eines berühmten Politikers?

Die 49jährige — man sieht es ihr nicht an — Tochter eines Gemischtwarenhändlers aus Lincolnshire, in dessen Geschäft sie als Mädchen oft die Kunden bediente, ist heute nach außen hin der Inbegriff dessen, was man sich in aller Welt als Dame des gehobenen englischen Mittelstandes vorstellt. Ihr stets makellos frisiertes blondes Haar, die diskrete Eleganz ihrer Garderobe in Verbindung mit einer charmanten Schwäche für farbenfrohe Hüte, der gepflegte Akzent, all das stempelt Margaret Thatcher, Gattin eines Firmendirektors und Mutter von Zwillingen, zur Angehörigen einer ganz bestimmten und wohlbekannten englischen Gesellschaftsklasse.

Aber von diesen Äußerlichkeiten abgesehen, ist an Margaret Thatcher schon gar nichts mehr stereotyp oder schablonenhaft. Ihr scharfer Intellekt, diszipliniert und geschult durch relative Mittellosigkeit und Arbeitsfreude in ihrer frühen Jugend, setzte sich schnell durch. Sie erwarb sich ein Stipendium für ein erstklassiges College in Oxford, wo sie Chemie studierte und — auf geradezu prophetische Weise — zum Schatzmeister und Präsidenten des konservativen Verbandes der Universität gewählt würde. Nach Erlangung ihres akademischen Grades arbeitete Margaret einige Jahre als Chemikerin, bis sie dann, nach ihrer Heirat und schon im Hinblick auf eine politische Karriere, Jus studierte und einen zweiten akademischen Grad als Barrister erwarb, wonach sie dann als Wirtschaftsjuristin und Spezialist für Steuerfragen tätig war.

Und dann begann Margaret Thatchers politischer Aufstieg. Nach zwei mißlungenen Versuchen — die englische Politik ist Frauen nicht allzu hold, und man hatte Margaret zunächst nur als attraktive Hausfrau eingeschätzt — wurde sie 1959 ins Unterhaus gewählt. Hielt man sie zuerst für eiskalt und unzugänglich, so wurde doch sehr bald klar, daß diese kühle blonde Frau einer der klügsten Köpfe der konservativen Partei war, und Abgeordnete aller Parteien bewunderten die präzise Klarheit, mit der Margaret Thatcher auch das komplexeste Problem darzulegen und oft auch zu lösen vermochte. Schon 1961 wurde sie Juniorminister im Sozialministerium, im späteren Schattenkabinett war sie konservative Sprecherin für mehrere Ressorts hintereinander, und in der Regierung Heath war sie von 1970 bis 1974 Erziehungsministerin. Hierbei machte sie durch verschiedene kontroversielle Maßnahmen von sich reden, vor allem durch ihre scharfe Gegnerschft gegen die Abschaffung privater, unabhängiger Schulen in Großbritannien, wie sie von der La- bourpartei gefordert wurde.

Bedeutet all dies einen „Rechtsruck“, wie manche Propheten nach Margarets Sieg behaupteten — zuerst in der konservativen und später vielleicht in der ganzen britischen Politik? Die ersten Anzeichen sprechen eindeutig dagegen. Die neue Parteiführerin hat bisher entgegen allen Voraussagen noch keinerlei Köpfe im Schattenkabinett rollen lassen, sie hat die Säule des Zentrums, den besiegten Gegner William Whitelaw, zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gemacht, und Sir Keith Joseph, ihr einflußreicher Anhänger, und ein wenig zu Unrecht als „extrem rechts“ verschrien, wird allem Anschein nach nun doch nicht das hohe Amt des Schatten-Schatzkanzlers erhalten; er soll vielmehr ohne Beschränkung auf eine einzelne ministerielle Aufgabe zum Mit-Ar- chitekten von Mrs. Thatchers schwerem Aufbauwerk werden, mit dem Ziel der Konservativen Partei neues Selbstvertrauen und schlagkräftige neue Ideen zu vermitteln.

Margaret Thatcher war die einzige prominente Tory-Politikerin, die die Fehler der Ära Heath offen zugegeben hat, und das war neben ihren persönlichen Qualitäten der Hauptgrund dafür, daß ihre Parteikollegen sie zur Führerin gewählt haben. „Eine Mischung von Kontinuität und Veränderung, eine freie Gesellschaft, deren Eigentum gerecht unter den Bürgern, aber nicht an den Staat verteilt würde“ — mit diesen Worten hat sie ihre zukünftige Politik Umrissen. Wenn sie ein größeres Wählerpublikum von der Realität, der praktischen Durchführbarkeit ihrer politischen Ideen zu überzeugen vermag, dann könnte Margaret Thatcher in nicht allzu ferner Zukunft wirklich die erste Frau werden, die die Geschicke einer modernen westlichen Großmacht leitet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung