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Fast ein Schisma

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Man liest es schwarz auf weiß:Der historische

Papstbesuch des Jahres 1782 war für Pius VI. eine einzige Demütigung — ein peinlicher Mißerfolg der päpstlichen Diplomatie. Joseph II., der den Papst am liebsten nicht in Wien gesehen hätte, war keinen Schritt breit von seinem Standpunkt abgewichen. Die Zugeständnisse, die er schließlich Pius VI. gegenüber machte, waren minimal.

So steht es in den Hand- und Lehrbüchern der Geschichte und Kirchengeschichte. Man kann es von Historikern und Geistlichen vielfältig hören, selbst hohe kirch-

liehe Autoritäten der Gegenwart vertreten diese Ansicht.

War es tatsächlich ein Mißerfolg, mit dem Papst Pius VI. am 22. April 1782 aus Wien abreiste? Joseph II. behauptete es in Briefen an seinen Bruder Leopold von Toskana und an die russische Zarin Katharina II.

österreichische Diplomaten, die den Papst während seiner Rückreise an den Höfen in München und Augsburg offiziell zu beobachten hatten, berichten von den Depressionen und der gedrückten Stimmung in der päpstlichen Suite. Einzig der Wiener Nuntius Guiseppe Garampi habe sich positiv über diese Begegnung von Kaiser und Papst geäußert.

Auch Pius VI. schien mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden. Immer wieder lobte er Joseph II. und sprach von dessen großer Frömmigkeit. Diese positiven Äußerungen kommentierte Leopold von Toskana, sobald sie als Gerüchte in Italien auftauchten, empört und aggressiv. Sie seien Beweise für die Verlogenheit der päpstlichen Diplomatie, der man mit der ungeschminkten Darstellung der tatsächlichen Ereignisse begegnen müßte.

Die Flut von Pamphleten und Broschüren, die vor und nach dem Besuch des Papstes in Wien den literarischen Markt überschwemmte, suchte die öffentliche Meinung zugunsten des Kaisers zu bestimmen.

Mit der Frage „Was ist der Pabst?” wurde über das Amt des Papstes diskutiert. Sie stellten es als das des Trägers der obersten Gewalt in der Kirche und als des Souveräns des Kirchenstaates in Frage. Sie schrieben, Pius VI. leiste für die-Demütigung Heinrichs IV. in Canossa im Jahre 1076 Sühne. Jetzt, im Jahr 1782, seien die Rollen spiegelbildlich vertauscht, jetzt triumphiere der Kaiser über den Papst.

Gegen diese lauten Stimmen aus der öffentlichen Meinung, die die Bevölkerung von damals, fasziniert vom Besuch des Papstes in der österreichischen Monarchie, ignorierte, polemisierten Theologieprofessoren und Prediger. Sie formulierten Vorstellungen, die einem Großteil der Bevölkerung zu eigen waren: hauptsächlich, um die beginnenden Kirchenreformen Josephs II. zu verhindern, habe Pius VI. seine Reise nach Wien angetreten.

Moderne Untersuchungen erweisen die historische Unhaltbarkeit dieser Ansicht vom demütigenden und erfolglosen Besuch des Papstes in Wien. Die Analyse von bis jetzt unausgewerteten Dokumenten, die Revidierung fehlerhafter Interpretationen und erstmalige Untersuchungen jose- phinischer Pamphlete und Broschüren erweist, daß diese Papstreise des 18. Jahrhunderts kein Mißerfolg war. Die damalige Geheimdiplomatie und die Imagebildung, die vom Kaiser selbst entworfen wurde, überdeckte den eigentlichen Konflikt zwischen Kaiser und Papst, zwischen Wien und Rom.

Obwohl Joseph II., gedrängt von Kaunitz, nach einer Lösung der österreichischen Kirche von Rom strebte und auch bereit war, ein Schisma zu riskieren, befürchtete er, Unruhen in der Bevölke-. rung auszulösen. Um eine Opposition von Bischöfen und Klerus gegen seine Kirchenreformen auszuschalten, wollte er nicht nur das alleinige Recht der Bischofsernennungen in seinem Staat für sich beanspruchen, sondern auch den Episkopat mit einem Eid so eng an sich binden, daß sein Eid gegenüber dem Papst praktisch aufgelöst wurde.

Pius VI. hatte sich im Spätherbst 1781 zur strapaziösen Reise über die Alpen entschlossen, weil die Formulierungen für den Untertaneneid der Bischöfe bereits Vorlagen und vom Kaiser nur mehr erlassen werden mußten. Im persönlichen Gespräch wollte er Joseph II. von der Unrichtigkeit der staatlichen Kirchenverfassung, mit der die Kirchenreformen begründet wurden, überzeugen.

Damals verglichen Journalisten in Belgien, die auf seiten des Papstes standen, Joseph II. mit Heinrich VIII. von England. Sie erkannten, daß der österreichischen Kirche das Schicksal der englischen Kirche des 16. Jahrhunderts drohte.

Pius VI. verstand sein Papstamt als oberstes Hirten- und Richteramt im Dienst für die Einheit der Kirche. Christus hatte es ihm direkt übertragen und ihn bevollmächtigt, Bischöfe zu berufen, zu senden und zu bestätigen. Im Gegensatz dazu betrachtete Joseph II. den Papst als Bischof von Rom.

Der Besuch Pius’ VI. in Wien hatte Joseph II. nicht bestimmt, die Josephinische Kirchenverfassung, die bis zum Abschluß des Konkordats von 1855 in Geltung blieb, zu ändern. Trotzdem setzte der Papst sein Amtsverständnis in der österreichischen Kirche durch. In letzter Minute konnte ein Kompromiß, vermutlich von der klugen Beratung des Wiener Nuntius Garampi inspiriert, zwischen Kaiser und Papst erzielt werden. Joseph II. gab seine Zustimmung, daß sich die Bischöfe für sämtliche Rechtshandlungen, die ihnen die österreichischen Kirchengesetze zumuteten, vom Papst bevollmächtigen ließen.

Damit anerkannten sie innerlich und in der Praxis das Amtsverständnis des Papstes. Äußerlich fügten sie sich, mit Vollmachten ausgestattet, den Rechten, die der Kaiser ihnen zusprach. Joseph II. selbst zog, um einen öffentlichen Eklat durch eine abrupte Abreise des Papstes aus Wien zu verhindern, die Formel für den Untertaneneid der Bischöfe zurück. Er glich die Eidesformel einem alten Treueid, der auch in Frankreich gebräuchlich war, an.

Mit diesen Maßnahmen, die geheimgehalten wurden und kaum an die Öffentlichkeit drangen, war faktisch das zu befürchtende Schisma verhindert. Die weiteren Verhandlungen zwischen Kaiser und Papst endeten im Winter 1783/84 mit einem Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Monarchie, der „Convention amicale”. Darin bevollmächtigte Pius VI. Joseph II. die Bischöfe, Äbte und Domherrn in der Lombardei zu ernennen. Er übertrug damit dem Kaiser ein päpstliches Recht.

Durch die Annahme dieser Vollmacht verzichtete Joseph II. auf die Behauptung, er als Kaiser habe das angestammte Recht, Bischöfe ohne päpstliche Zustimmung zu ernennen. Damit hatte Pius VI. das Ziel seiner „Apostolischen Reise” erreicht — das Schisma, die Trennung der österreichischen Kirche von Rom, war verhindert. Darüber hinaus waren Orientierungslinien für den Säkularisierungsvorgang der kommenden Jahrzehnte während der Geheimkonferenz in der Wiener Burg gezogen worden.

Die Verfasserin ist Dozentin am Institut für Kirchengeschichte und am Institut für Geschichte an der Universität Wien. Eben ist von ihr auch das Buch erschienen: „Der Pabst in Teutschland (Die Reise Pius* VI. im Jahre 1782), Verlag für Geschichte und Politik Wien, Verlag R. Oldenbourg, München 1983, 204 S., 33 Abb., öS 260,-. Am 5. September wurde in der Länderbank Wien ąucn eine von ihr wissenschaftlich betreute Ausstellung zu diesem Thema eröffnet.

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