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Fast ein Steppenbrand

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Während die Mitglieder der sozialliberalen Koalition in Bonn den seit der Ölkrise und der Agonie der Brandt-Endzeit verunsicherten Wählern mit der Unermüdlichkeit tibetanischer Gebetsmühlen erklären, daß •es den Bundesdeutschen wirtschaftlich gesehen unter allen Westeuropäern am besten gehe, häufen sich die Hiobsbotschaften aus dem bundesdeutschen Wirtschafts- und Finanzleben. Zwar wird die Krise der Textilindustrie kaum mehr zur Kenntnis genommen und auch Nachrichten von Schwierigkeiten der Bauindustrie werden schon alltäglich, doch schrecken Hiobsbotschaften aus der Autoindustrie und vor allem in jüngster Zeit aus dem Bankgewerbe die Menschen zwischen Boden- und Nordsee auf. Besonders der Zusammenbruch des angesehenen Kölner Bankhauses Iwan David Herstatt — vermutete Verluste 400 Millionen D-Mark — rief große Verunsicherung hervor. Nur die auf Hochtouren laufende Fußball-Weltmeisterschaft verhinderte, daß der Bankenkrach bundesweite Kreise zog.

Sparer, die hilflos vor den geschlossenen Pforten der Bänkfilialen

standen, und oft mit tränenden Augen nach dem Verbleib ihrer Guthaben fragten, gemahnten trotz beruhigender Worte von Bundesbankpräsident Karl Klasen und anderen Verantwortlichkeit aus dem Finanzleben in bedenklicher Weise an Szenen in den dreißiger Jahren. Zwar ist der erste Schock inzwischen verflogen, Sparern mit Einlagen bis zu 20.000 D-Mark wurde eine volle Entschädigung zugesagt, aber die ' Herstatt-Pleite steht doch als Menetekel über der wirtschaftlichen Szene der Bundesrepublik. Der Zusammenbruch des Hauses

Herstatt ist auf Spekulationen im Devisentermingeschäft zurückzuführen. Diese Geschäfte, die durch die stark schwankenden Wechselkurse der jüngsten Zeit rasche Gewinne versprachen, führten bei Herstatt zu raschen und großen Verlusten, die in die Nähe einer halben Milliarde D-Mark rückten. Offiziell hieß es zunächst, das Bankhaus Herstatt sei mit seinen Devisentermingeschäften, sowohl die Höhe wie die Verluste betreffend, einzigartig. Rückschlüsse auf das allgemeine Bankenwesen sollten daher nicht gezogen werden.

Freilich stimmt es bedenklich, daß in jüngster Zeit auch andere Geldinstitute ihre' Hoffnungen, aus dem Steigen oder Fallen von Wechselkursen beachtliche Gewinne erzielen zu können, unter einem Berg von Schulden begraben mußten. Renommierte Banken in öffentlicher Hand hatten ebenfalls Verluste von 200 Millionen D-Mark und mehr hinnehmen müssen.

Wenn auch bei Herstatt offensichtlich noch grobe Fahrlässigkeit und betrügerische Machenschaften — die Bücher sollen gefälscht wor-

den sein — hinzukommen, so bleibt doch das Indiz, daß die durch die hohen Zinsen bedingten Schwierigkeiten im Kreditgeschäft die Banken dazu verführen, Gewinne in Bereichen zu suchen, die ein Risiko in sich tragen. Die stabilitä'tspolitisch für notwendig gehaltene Hochzinspolitik droht zu einem Gefährdungselement im Finanzwesen zu werden. Im Fall privater Banken, bei denen nicht der Steuerzahler den Verlust ausgleichen muß, werden nicht nur die Bankinhaber gefährdet, sondern auch die Kunden der Bank. Daher bestanden auf Seiten der

Regierung wie auch bei den Bankiers größte Befürchtungen, daß der Bankenkrach das Vertrauen der Sparer und' Geldanleger erheblich erschüttern könnte. Eine Panikreaktion — etwa die Auflösung von Konten bei privaten Banken durch zahlreiche Sparer — hätte das Geld- und Kreditwesen in der Bundesrepublik in ungeahnte Schwierigkeiten bringen können. Deshalb die allgemeine Beteuerung, es handle sich um einen Einzelfall und Einlagen bis zu 20.000 D-Mark seien ungefährdet.

Daneben kurbelte die Banken-Pleite die Diskussion um eine mögliche Verstaatlichung der Banken erneut wieder an. Nachdem diese von links immer wieder vorgetragenen Forderungen in letzter Zeit seltener zu hören waren, meldeten sich nun schlagartig all jene zu Wort, die aus oft recht unterschiedlichen Motiven das private Bankenwesen in der Bundesrepublik gerne abgeschafft sähen. Fürs erste fiel die Antwort der Verantwortlichen klar aus: Eine generelle Verstaatlichung steht nicht zur Debatte. Die Hinweise auf Verluste auch bei öffentlichen Banken, auf ihre teilweise geringere Beweg-

lichkeit und vor allem auf die Gefahren einer umfassenden staatlichen Wirtschaftslenkung über das Bankenwesen vermochten sich zunächst durchzusetzen.

Die Regierung hat inzwischen bereits angekündigt, daß sie durch schärfere Kontrollen des Devisenhandels der Banken dafür sorgen will, daß das untergegangene Kölner Bankhaus ein Einzelfall bleibe. In Bonn weiß -man zu genau, daß nur energisches Handeln aus dieser Krise führen kann. Eine auf Stabilität und Prosperität eingeschworene Regierung Schmidt will sich nicht

durch einen Banken-Zusammenbruch gefährden lassen. Denn schon ohne das Problem der Geldinstitute stehen die Probleme bis zum Hals.

Die Arbeitslosigkeit sinkt nicht entscheidend, das wirtschaftliche Wachstum stagniert und wird nur durch außerordentlich hohe Exporte ausgeglichen. Bestimmte Wirtschaftszweige befinden sich in einer Krise. In der Bauindustrie häufen sich die Konkurse, die noch unter dem Titel „Gesundschrumpfen“ zusammengefaßt werden. „Wohnungshalden“ — hunderttausend lehrstehende Eigentumswohnungen — und ständig zurückgehende Bauaufträge auch der öffentlichen Hand lassen keine Besserung vermuten. Schließlich darbt vor allem die bundesdeutsche Autoindustrie. Die VW-Krise, die auch eine Umstellungskrise vom Käfer, auf eine neue Modellreihe ist, wird nun nach abgehaltener Niedersachsen-Wahl deutlicher. Nach knappem Erfolg von SPD und FDP beginnt beim VW-Werk, das wesentlich in Niedersachsen produziert und zu dessen maßgeblichen Eigentümer das Land Niedersachsen gehört, der Personalabbau, zunächst noch in Form einer Förderung des freiwilligen Ausscheidens durch „Abschiedsprämien*'. An Kurzarbeit — somit an eine auf Wochen beschränkte Arbeitslosigkeit — hat man sich in der Automobilindustrie schon gewöhnt.

In einer solchen wirtschaftlich gefährdeten Situation hätte die Herstatt-Pleite rasch zu einem gefährlichen Steppenbrand werden können. Rasches Handeln der Verantwortlichen hat offensichtlich eine große Auswirkung des Debakels verhindert. Für Kanzler Schmidt — „den Macher“ — bleibt auch so noch genug zu tun, wobei er seine Qualitäten in der Bewältigung schwieriger Lagen erst beweisen muß. Denn noch lebt auch dieser Kanzler vor allem von dem, was Herstatt bei zahllosen Geldanlegern zu zerstören drohte, nämlich vom Vertrauen.

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