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Faszination Wachstum?

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Die Wirtschaftspolitiker müssen von der Vorstellung Abschied nehmen, daß Wachstum allein das Problem Massenarbeitslosigkeit bei Massenwohlstand lösen kann.

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Die Wirtschaftspolitiker müssen von der Vorstellung Abschied nehmen, daß Wachstum allein das Problem Massenarbeitslosigkeit bei Massenwohlstand lösen kann.

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Umsatz, Cash-flow, Pro- Kopf-Leistung, Bruttosozialprodukt (BSP), das alles sind Meßgrößen, die wir allmählich besser vergessen sollten, so wie niemand heute daran denkt, die Länge in Ellen und eine Menge in Schock anzugeben. Das eindimensionale Denken und die Dominanz bzw. Faszination des Wortes „Wachstum“ hat unseren klaren Blick mächtig getrübt.

Sechs Prozent Wachstum wäre etwa für die BRD notwendig, ge-

messen nach heutigem BSP- Maßstab, um in den nächsten Jahren wieder Vollbeschäftigung zu haben.

Wenn aber die Wirtschaft nicht mehr wächst, oder nur mehr mit ein bis zwei Prozent, ist dies das Ende? Ganz sicher nicht.

Sicher, wenn die Wirtschaft nicht mehr wie im bisherigen Sinn wächst, dann muß unsere Politik, unsere Kreativität neue Wege finden.

Die Mehrheit der Wirtschaftsmanager diskutiert heute noch darüber, ob der gordische Knoten Arbeitslosigkeit durch quantitatives oder durch qualitatives Wachstum zu durchschlagen wäre. Setzen die einen auf Keynes mit der Steigerung der öffentlichen und privaten Nachfrage, auch um den Preis noch so großer Defizite, so meinen die qualitativen Angebotsökonomen, das Güter- und Leistungsangebot müsse eben attraktiver werden, dann könne man sich der Käufer kaum mehr erwehren. Eine Weisheit, die schon Adam Smith vor rund 200 Jahren postulierte.

Aber weder Smith noch Keynes kannten das Problem von heute: Massenwohlstand bei Massenarbeitslosigkeit. Da können ein paar Investitionen dort und ein paar neue Produkte da höchstens die Zahl hinter dem Komma stabilisieren oder kurzfristig verbessern, aber ein Dauererfolg kann so sicher nicht gewonnen werden.

Wir müssen ganz klar erkennen, daß wir es uns bisher zu bequem gemacht haben.

Sind die betriebswirtschaftlichen Zahlen auf die rote Seite gerutscht, wurde ganz einfach nach dem „harten“ Macher gerufen, der flugs denselben Output nun mit zwei Drittel der Belegschaft erwirtschaftet. Die Prinzipale applaudieren, der Macher kassiert, das durch den Rost gefallene Drittel wird nun über Steuern, Arbeitsmarktabgaben und ähnliches finanziert.

Manager sind zur Zeit fast ausschließlich auf Betriebs- und Volkswirtschaft trainiert. Das wird in Zukunft nicht mehr reichen. Der produktive Zuwachs von heute ist der Müllberg von morgen. Manager werden in Zukunft mehr die Aspekte Gesellschaft und Ökologie in ihre Strategien einbeziehen müssen.

Das Defizit von heute fußt auf dem Vorrang der betriebswirtschaftlichen vor der ökologischen Ökonomie.

Die stets wachsenden Ausgaben für Umweltschutz sanieren in erster Linie die Fehler von gestern, und heilen ist immer teurer als Vorbeugen. Die Frage, können wir uns den Umweltschutz leisten, ist genauso dumm, wie die Frage, ob wir uns das Atmen leisten können. Nicht atmen und kein Umweltschutz, beides führt zum Kollaps …

Unternehmer wie Gewerkschaften werden den Produktivi tätsfortschritt sicher nicht mehr in Lohnprozente oder Zehntelprozente aufteilen, sondern darüber zu diskutieren haben, ob mit weniger Arbeitszeit gleich viele weiterbeschäftigt werden, oder bei gleicher Arbeitszeit weniger beschäftigt werden; letzteres nicht ohne fatale Folgen, nämlich noch mehr Arbeitslose.

Eine breitere Streuung des Produktivvermögens — bedingt auch Dezentralisation — sowie staatliche Maßnahmen zur Erhöhung der Eigenvorsorge im Arbeitsund Altersleben werden unausbleiblich sein.

Und vor allem wird man die Meßgrößen zu ändern haben und den neuen Wertvorstellungen anpassen. Das BSP mit seinen Absurditäten — etwa je mehr Autounfälle, um so höher, und je gesünder die Leute leben, um so geringer ist das BSP — ist schon heute eine irrwitzige Zahl; selbst für den Simpl als Kabarettklamauk unbrauchbar.

Das BSP erfaßt weder die gesamtwirtschaftliche Leistung — riesige Arbeitsvolumina flüchten aus welchen Gründen immer (Steuer, Kostenfaktor usw.) in den Untergrund oder werden als „Beschäftigung“ nach der regulären Arbeitszeit für sich selbst, Freunde oder aus einem Gefühl der Solidarität und Sozialpflichtigkeit heraus erbracht.

Und letztlich ist heute ein Prozent Wachstum real ein weitaus größeres Güter- und Leistungsvolumen als etwa 1960. Die Differenz beträgt etwa 1:3.

Wenn früher 1000 Rechner, ä 30 Watt, eben 30 Kilowatt Stromanschluß bedeuteten und heute 1000 Rechner kaum 300 Watt benötigen, dann heißt das nicht, daß wir weniger oder schlechter rechnen, ganz im Gegenteil. Wir rechnen schneller, leiser und wesentlich schwierigere Probleme bei einem Hundertstel oder Tausendstel des früheren Energieaufwandes.

Soll man sich da mit solch einer aberwitzigen Zahl wie dem BSP beruhigen oder schockieren?

Alles in allem eine Fülle von Aufgaben. Und da sollte uns bange um die Zukunft sein? Nein, wir müssen uns nur ändern, unsere innere und äußere Struktur, unser Denken und unsere Wertvorstellungen nach neuen Zielen orientieren oder besser ökologi- sieren.

Wenn wir diesen Prozeß vollziehen, dann kommt der vielersehnte Aufschwung, allerdings nicht mehr mit den Götzen von heute. Wir sollten sie so rasch wie möglich verabschieden.

Der Autor ist Wirtschaftsmanager, sein Beitrag ein Auszug aus der Broschüre „Wirtschaft und Umwelt — Versuch einer Versöhnung“ des „Club Niederösterreich“.

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