Angst vor der Schönheit

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Ob es die von Schwüle und Dekadenz erfüllte Atmosphäre im Palast von Herodes ist, in dem Salome für ihren Tanz den Kopf des Propheten Jochanaan verlangt oder der Teich, in dem sich die Nixe Rusalka im Mondlicht spiegelt; solche Bilder dürften heutigen Regisseurinnen und Regisseuren panische Angstträume bereiten. Wäre hier nicht höchst mögliche künstlerische Gestaltung, Phantasie nannte man das früher, gefordert? Dazu braucht es Ideen, Geschmack und Können. Regie war einst ein Handwerk und erforderte in der Oper etwa Kenntnis der Partitur, aus der sich Atmosphäre, Schauplatz und Charakter der handelnden Personen ablesen lässt. Das wäre doch selbstverständlich, werden Sie jetzt sagen, aber das ist es schon lange nicht mehr. Regie kann heute jede und jeder führen, der sich, wo auch immer, einen Namen gemacht hat. Je weniger er mit Fachkenntnis belastet ist, desto besser. Eines scheint alle diese Wunderkinder zu einen: der Mut, sich an solche Aufgaben heranzuwagen, der oft mangelnde Respekt vor Komponisten und Librettisten und vor allem die Angst vor der Schönheit. Die ist freilich ein schwierig zu deutender Begriff. Ist es nicht einfacher, den Tribut an den Zeitgeist zu leisten? Der nervenkranke Herodes wird mit einem Betonbau, in dem ein paar faschistische Uniformierte als Bewacher herumlungern, auch das Auslangen finden und Nixen sind für das Publikum von heute in Neonlicht und Garagen-Architektur, also im gängigen Tatort-Schauplatz, ohnehin leichter zu verdauen. Unsere Erde scheint noch immer nicht genug malträtiert und entstellt worden zu sein und unsere Sehnsucht nach Schönheit ist immer noch nicht stark genug, dass sie verwirklicht werden kann. Sie wäre der Balsam im gegenseitigen Umgang, die Medizin gegen Hass und Ignoranz. Sie ist eines der wichtigsten Überlebens-Elixiere. Es liegt an uns, sie einzufordern.

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