Das eingefrorene Posthorn

Unlängst bekam ich das Mail einer Freundin mit der Betreffzeile „Post aus Polen“, worin sie sich bei mir für eine Ansichtskarte bedankte. Ich schätze das sehr (man weiß ja nie), nur war ich gar nicht in Polen. Eine Verwechslung? Die Recherche ergibt: Die Karte war von mir, sie kam aus Drohobytsch, und es ging darin unter anderem um den von dort gebürtigen Dichter und Zeichner Bruno Schulz (1892–1942), der auf Polnisch schrieb. Drohobytsch (polnisch Drohobycz) gehörte bis 1918 zum k. u. k. Kronland Galizien, danach zu Polen und gehört heute zur Westukraine. Ich war dort auf einer Tagung – im Mai 2019. Ich denke an die eiskalten Tage ohne Heizung in öffentlichen Gebäuden und an die warmherzigen Gastgeber.

Ich denke an deren betretenes Schweigen angesichts des russischen Popen in einem Dorf, der sich sichtlich als religiöser Kolonisator verstand. Am Ende waren es die österreichischen Gäste, die einer Extraportion Entwicklungshilfe in Sachen Demokratie bedürftig schienen: Die Ibiza-Bombe war geplatzt, die Stimmung ungläubig-euphorisch bei den einen, ungläubig-befremdet bei den anderen, die zwar einem ehemaligen Kabarettisten und Schauspieler als Präsident entgegensahen, aber sichtlich nicht fassen konnten, was für ein Typ es da im EU-Land Österreich bis zum Vizekanzler gebracht hatte. So sind wir nicht, sagte unser Präsident damals, und wir haben ihm nur zu gerne geglaubt. Was ist seither alles passiert: vier Regierungswechsel und weitere Skandale in unserer schäbigen kleinen Innenpolitik. Die Pandemie. Der russische Überfall auf die Ukraine.

Ich hätte mich nicht gewundert, hätte der Krieg die ukrainische Post lahmgelegt. Aber wie kommt es, dass eine Ansichtskarte nach mehr als drei Jahren just jetzt weiterbefördert wird? Wo war sie? Was ist mit ihr geschehen? Bruno Schulz wäre eine Geschichte dazu eingefallen.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.