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Das Interesse am Karma

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Aus seiner Mönchsrobe lugt meist die nackte Schulter hervor. Nach dem Festessen, Öas Landeshauptmann und Bürgermeister geben, putzt er sich noch rasch die Zähne. Am nächsten Tag das Pressefoto davon. Seine Heiligkeit, der 14. Dalai Lama, mit der Zahnbürste im Mund, in Graz, Sonntag, 25. Juni 1995.

Bund 2.000 Gäste aus ganz Österreich hatten im Begen ausgeharrt, dem Singsang des tibetischen Avalokiteshvara-Segens ge-lauscht und einige buddhistische Mantras (wirksame Wesenssprü-che) auf Tibetisch nachgesprochen. Als katholischer Theologe macht man sich da mit dem Blick auf die „göttliche Gegenwart” - so wird die Person des Dalai Lama von Buddhisten verstanden - Gedanken. Was ging nicht nur für die Älteren verloren, als „wir” das Latein aus der Liturgie entfernten?

Finden die vielen Menschen, die alle in einer christlichen Kultur aufgewachsen sind, bei den Mönchen aus Tibet jenen „magischen Best”, den die christliche Theologie programmatisch aus dem Glauben zu eliminieren versucht hat? Oder liegt die Faszination auf einer moralischen Ebene? Etwa der absoluten Gewaltlosigkeit, mit welcher der Dalai Lama die politischen Interessen seiner Heimat Tibet vertritt?

Ist vielleicht im Buddhismus für die bürgerlichen Europäer ein System geringerer moralischer Verantwortung gegeben, weil es die Seele im Zyklus der Wiedergeburten immer neu versuchen kann, Beinheit zu gewinnen?

Auch die bange Frage: Werden die in diesen Tagen neu geweihten katholischen Priester fromm, intelligent und menschlich genug sein, um den komplizierten religiösen Erwartungen unserer Gesellschaft zu entsprechen? Werden sie stark genug sein, um selbst Maßstäbe der Beligiosität zusetzen?

Die europäischen Menschen be- ■ wegt schon langst ihr metaphysisches Schicksal (ihr „Karma”) mehr als die Strukturprobleme der Kirchen. Weisheit wäre geboten statt Wald- und Wiesenpredigten. Und Menschlichkeit! Das muß nicht heißen, daß „unsere” Priester ihr Mönchskleid ablegen müssen. Es genügt, wenn sie den Bitus würdig vollziehen, sich ihrer nackten Schulter bewußt sind und das Lachen nicht verlernen.

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