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Das Wunder an der Wolga

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Vom Standpunkt des intellektuellen Reobachters im Westen fielen mir bei den Präsidentenwahlen in Rußland zwei Besonderheiten auf: erstens, waren die Stimmen der dortigen Intellektuellen im Verhältnis zu früher ziemlich leise und unwirksam. Der von ihnen forcierte Jawlinski erreichte nicht mehr als elf Prozent. Die großen Kapazitäten, etwa Solschenizyn, hielten sich zurück. Irgendwelche heiße intellektuelle Debatten vor den Wahlen drangen nicht ins Ausland. Sie spielten im Land selbst kaum eine Rolle.

Dort ging es um Demokratie oder Rückkehr des Kommunismus', um ganz harte, konkrete und existentielle Fakten, nicht um Nuancen. Gewählt wurde mit der Erfahrung des jeweiligen ganzen bisherigen Lebens. Wie waren die letzten sechs Jahre gegenüber den vergangenen Jahrzehnten ausgefallen? Daraufkam es an. Zudem fielen die Auftritte von Jelzin, Suganow, Schirinowski, Lebew, Jawlinski im TV schwer ins Gewicht. Irgendwelche Reflexionen, Spekulationen, feinere Überlegungen, die ausdiskutiert hätten werden können, waren unwichtig.

Den Intellektuellen machte es der Tschetschenienkrieg schwer, Jelzin zu wählen. Aber bei der demokratischen Wahl entscheidet die Masse, und die reicht bis in den Analphabetismus. Zwar gibt es diesen in Rußland kaum mehr, wohl aber halbgraue Zonen äußerster Primitivität, vor allem in den asiatischen Gebieten. Daß die zweite Wahl gegen den Kommunismus ausfiel, war fast ein AVunder. Die zweite Besonderheit, die auffallen konnte, war die geringe Aufmerksamkeit des Westens für die Wahlauswirkungen in den ehemaligen Satellitenstaaten.

Der Schlag für Milosevic, für die bestehenden Regierungen in Weißrußland, Rulgarien, Polen und alle inzwischen erstarkten kommunistischen Strömungen (etwa in Rumänien), ist schwer. Natürlich wurde auch die PDS von der Suganow-Niederlage getroffen, und Meciar in der Slowakei muß andere Überlegungen als bisher anstellen.

Natürlich wird Iliescu seine gewandten Spiele neu gewichten. Der Wahlausgang hat gewaltige Folgen für den gesamten ehemaligen kommunistischen Bereich und den Westen - wenn dies richtig erkannt und genützt wird.

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