Die letzte Keule
Über Quallen in Triest, Pubertierende und politische Scheinheiligkeit.
Über Quallen in Triest, Pubertierende und politische Scheinheiligkeit.
In der Bucht von Triest trieben Quallen um das einzig verbliebene Kreuzfahrtschiff im Hafen. Sie schimmerten milchig und hatten einen dunkelblauen Trauerrand. Ein schönes Bild des Untergangs aus Triest. In Wien wurde die letzte Martini-Gans serviert. Sie kam auf zwei Tellern. Jeweils eine knusprige Keule. Rotkraut, Kastanien, Schupfnudeln anbei. Die Gans schmeckte köstlich. Der letzte öffentliche Genuss. Die Welt von gestern liegt noch als Geschmack auf der Zunge, und dabei versank sie kurz nach dem ersten Bissen. Auf dem Handy erschien das Video. Attentat in Wien. Seitenstettengasse. Die Welt von heute ist geschockt. Der Rabbiner nennt die Tat menschenfeindlich. Ein Bürger der Welt, der seinen Schülern das Grundrecht der Demokratie, nämlich die Meinungsfreiheit, gelehrt hatte, war geköpft worden. Ein Messerattentat in Nizza folgte. Vor dem zweiten Lockdown in Österreich rüstete sich ein Terrorist in Wien zum letzten Abendmahl. Die Werte der Welt werden im digitalen Augenblick massakriert. Das Böse schlägt zu, als wäre es banal.
Das Ausrasten ist Alltag einer bisher nur ungewohnt gewesenen Perspektive eines Attentäters? Eine solche Tat aber bedeutet präzise Vorbereitung. Wann fängt eine solche Vorbereitung an? Mit der Gewalt gegen Kirchenbänke durch Pubertierende, die dazu „Gott ist groß“ schreien? Mit der Weigerung, Masken zu tragen und gegen die Schikane des Systems im Namen der Freiheit zu schreien? Scheinheiligkeit der Politik, die Selbstverantwortung vorgaukelt? Spaltung der Gesellschaft, wo die Reichen immer abgehobener den Aussichtslosen gegenüber werden? Derangierte mit leeren Augen. Das Messer teilt das Fleisch, triagiert die Stücke zu den Schüssen, die das Abendmahl beendeten. Die Tischlampen flogen über die Reling in den Fluss und zerbrachen, während die Hubschrauber über der Innenstadt kreisten, und das Schiff aus Triest sich in Erinnerung drängte.
Die Autorin ist Schriftstellerin.