Kaunertal global

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Was Österreichs Bundespräsident im Leipziger Gewandhaus zu sagen hatte.

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Was Österreichs Bundespräsident im Leipziger Gewandhaus zu sagen hatte.

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Der Auftakt mit dem Choralvorspiel des bekennenden NS-Anhängers Franz Schmidt war vielleicht keine allzu glückliche Wahl; den Blumenstrauß, den der Organist für 1 Minute 30 erhielt, hätte das Gros der 1700 Festgäste im Leipziger Gewandhaus wohl lieber Alexander Van der Bellen zugedacht. Seine Rede zur Eröffnung der Buchmesse samt Österreich-Gastlandauftritt entsprach insofern dem nationalen Stereotyp, als sie alle Vorgaben gewichtig-staatstragender Rhetorik unterlief und durch Understatement auftrumpfte.

Das begann mit der zeitsparenden Begrüßung („Exzellenzen aller Art“) und gipfelte, angeregt vom Messemotto „mea­oiswiamia“, in einem Crashkurs in heimischen Dialekten, mit besonderer Berücksichtigung des Kaunertalerischen („strengen Sie sich gar nicht an, das versteht man schon in Innsbruck nicht“). Politisch war die bloße Übersetzung eines FPÖ-Slogans ins lokale Idiom: „Dahuam statt Isluam.“ Die Rede war, was der Wiener „gfeanzt“ nennt, nämlich hintersinnig, listig, schalkhaft. Indem Van der Bellen die Stehsätze seiner Vorredner zum Ukraine-Krieg nicht wiederholte und ausschließlich über rot-weiß-rote Literatur („das wenige, das ich davon versteh“), Sprache und Mentalität sprach, bediente er sich am Klischee, um damit zu spielen – eine würdige Ouvertüre für den von Katja Gasser bravourös dirigierten Messe-Auftritt.

Gewiss hat der Bundespräsident einen gewieften Redenschreiber, aber erst sein Plauderton, seine Lust am Extemporieren und seine non­chalante Handhabung des Zettelwerks machen das Aufmerksamkeits- und Sympathiegewinnungsmeisterstück perfekt. Alles hat gelacht, alles war begeistert, so manche gestanden danach, uns um diesen Präsidenten zu beneiden. Und so verzeihe ich ihm sogar, dass sein Autokonvoi („Staatsverkehr!“) den Straßenbahnbetrieb zur Messe zum Erliegen brachte. Dafür kamen die Durchsagen vom Nino aus Wien.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.

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