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Unlängst habe ich mich in Essen an einem Podiumsgespräch zum leidigen Thema „Canceln“ beteiligt. Da ging es auch um heute verpönte Begriffe und darum, wie mit ihnen in alten Texten umzugehen sei: Soll man sie im Sinne philologischer Wahrhaftigkeit und historischer Diskurstreue einfach zitieren oder mit Rücksicht auf aktuelle Empfindlichkeiten umschreiben bzw. durch Prothesenwörter ersetzen? Mithu Sanyal, Autorin des ebenso klugen wie witzigen Romans „Identitti“, plädierte für das letztere, hielt aber fest, dass die Entscheidung gegen die überkommenen Begriffe eine willkürliche gewesen sei – genausogut hätte man versuchen können, sich der inkriminierten Wörter zu „bemächtigen“ und sie zur selbstbewussten Eigenbezeichnung umzudeuten. (Wie das etwa mit den Begriffen „schwul“, „gay“ und „queer“ passiert ist.) Auf meine Frage, wie eigentlich das Wort „Flüchtlinge“ in Verruf geraten sei, sodass es in Deutschland (aber zunehmend auch in Österreich, etwa im ORF) routinemäßig durch „Geflüchtete“ ersetzt werde, meint Sanyal, das habe wohl damit zu tun, dass viele es dank der Nachsilbe „ling“ als verniedlichend empfinden würden. Ah ja, denke ich jetzt, Däumling, Keimling, Säugling. Der Findling ist nur als Stein groß, als Kind klein. Aber Wüstling, Rohling, Feigling? Da sind die Assoziationen vielleicht wiederum allzu negativ. Dann gibt es aber noch den Schmetterling und den Sperling, den Neuling, Höfling, Firmling, Schützling, Jüngling, Frühling, Liebling. Lauter hochanständige Wörter. Weshalb ich glaube, dass die Diskriminierung des armen Flüchtlings ein reiner Willkürakt war, Ergebnis einer Basisgruppendiskussion zu vorgerückter Stunde, die eine „Aktion gegen Rechts“ beschließt und ein Wort erfindet, das seither Karriere gemacht hat, schlicht weil im medialen Sprachgebrauch Beispiel und Wiederholung zählen, und nicht logische Begründung.

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