Schlechtes Gewissen
Der Autor Daniel Wiesser über Urlaub und Alltag und die Zeit des schlechten Gewissens.
Der Autor Daniel Wiesser über Urlaub und Alltag und die Zeit des schlechten Gewissens.
Zum Urlaub gehören Dinge, die man sonst nie tut. Zum Urlaub gehört das Schreiben von Ansichtskarten, über deren Zwei-Satz-Text man tagelang brütet. Zum Urlaub gehören fremde Sprachen, die man nie lernt. Jahrzehntelang gibt man die vier, fünf eingelernten Phrasen von sich, meist Danke und Bitte oder Grüße für bestimmte Tageszeiten. Wer es in der fremden Sprache ein wenig weiter bringt, kann zwar etwas sagen, versteht aber die Antwort nicht. Zum Urlaub gehört der Versuch, es sich in einem Hotelzimmer häuslicher einzurichten als zu Hause. Ich weiß nicht, ob noch viele Menschen Campingurlaube machen. Beim Campingurlaub war der Versuch, sein Zu-Hause nachzubauen, immer offensichtlich. Da haben die Deutschen immer vor ihrem Zelt mit Steinen einen Vorgarten abgesteckt, der ihr Territorium klar definieren musste. Da haben sich bei den italienischen Familien zwei oder drei Generationen von Frauen schon vom Aufstehen an nur mit Einkaufen, Kochen und Abwasch beschäftigt und hatten nur am späten Nachmittag Zeit, zum Strand zu gehen und sich bis zu den Knöcheln ins Meer zu stellen. Zum Urlaub gehören also doch Dinge, die man immer tut.
Heute ist der Urlaub eine Zeit des schlechten Gewissens geworden. Eine Flugreise? Nun ja, wir wissen natürlich, man sollte eigentlich nicht fliegen. Urlaub mit dem Auto? Das geht gar nicht. Bleiben also Bahn- und Busreisen, Fahrrad-Touren, zu Fuß gehen oder: zu Hause bleiben. Gerade in Pandemiezeiten ist das Auto wieder „in“. Ganz logisch, denn man minimiert die Ansteckungsgefahr beim Reisen automatisch. In der Pandemiepolitik haben die Coronaleugner heute das Sagen. Sie erklären nun sogar Quarantäne für Unsinn. Warum sollten sich also in der Ökologiepolitik nicht jene durchsetzen, die die Umweltkatastrophen auf diesem Planeten schlichtweg für Unsinn erklären? Der Autor ist Schriftsteller.
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