Urknall und Einfall
Lydia Mischkulnig über das Schreiben, die zu erhaltende Physis und was sie von Sibylle Lewitscharoff gelernt hat.
Lydia Mischkulnig über das Schreiben, die zu erhaltende Physis und was sie von Sibylle Lewitscharoff gelernt hat.
Ich bin eigentlich selbstlos. Meine Ideen gehören anderen. Ich pflanze sie in die Köpfe. Zuletzt in einem Saal. Die Aufgabe lautet: Schaffe aus einem Stein einen Menschen. Wie erreicht man mittels Sprache Plausibilität? Durch ein starkes Gefühl, das jemand dem Stein gegenüber entlädt. Sich in ihn verliebt. Ich sitze im Glashaus und wirke an meiner literarischen Obsoleszenz zwischen den Existenztoren von Geburt und Tod. Diese Wahrheit ist radikal, während ich den Geschichten beim Wachsen zuschaue wie den Paradeisern im Glashaus. Im ersten Stock des Gemeindehauses der Literatur trete ich ans Fenster und schaue auf den Marktplatz, von wo der Turm in den Himmel zwiebelt. Die Uhr steht still. Die Häuser auch. Wozu muss man schreiben? Wieso kriegen die Menschen Kinder? Ein Café, ein Restaurant, und Löwenzahn liegt in den Kisten neben dem Spargel. Mir reicht ein geheiztes Heim, so dass ich beim Schreiben keine kalte Nase kriege. Mich beschäftigen mehr die kalte Nase und die zu erhaltende Physis, als das aus dem Nichts Geschaffene, was nur die Sprache inkarnieren kann. Und dann? Hat man eine Geschichte geschrieben und sie mit Sinn für Realismus und Affinität zum Schrägen seiner Einfälle abgerungen. Wirklichkeit, die andere anstupst. Alles ist ausgesprochen. Die Reklameschrift läuft dem Auge entgegen: Willkommen daheim. Wo Ihr Wohntraum Wirklichkeit wird. Die Häuser ringsum sind sauber beinander, der Mode entsprechend, um nicht der Obsoleszenz anheim zu fallen. Aus dem Nichts entstehen die Mischwesen meiner Ideen, die ich in Sternbildern sehe, die mir in den Schoß fallen und den Anfang zu einer Geschichte geben, die in Vergessenheit geraten wird. Nur vom Tode aus gedacht, ist sie für mich schön. Das habe ich von Sibylle Lewitscharoff gelernt. „Pong“ schlug ein.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!
