Von Abstand und Würde in Zeiten der Pandemie

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Die aufgrund des Coronavirus ausgerufenen Verhaltensregeln richteten sich wie ein Keulenschlag gegen die Bussi-Bussi-Gesellschaft, doch auch die Kunstszene sollte die aktuelle Situation nutzen, um umzudenken und neue Ideen hervorzubringen.

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Die aufgrund des Coronavirus ausgerufenen Verhaltensregeln richteten sich wie ein Keulenschlag gegen die Bussi-Bussi-Gesellschaft, doch auch die Kunstszene sollte die aktuelle Situation nutzen, um umzudenken und neue Ideen hervorzubringen.

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Es gilt, Abstand und Distanz zu halten. Dieses Gebot, das jetzt wohl aus wirtschaftlichen Erwägungen immer mehr gelockert wird, soll uns vor Ansteckung in der Pandemiezeit bewahren – und diese dürfte noch längere Zeit nicht überstanden sein.

Die neuen Verhaltensregeln richteten sich wie ein Keulenschlag gegen jene Wohlstandsgesellschaft, die sich bei Empfängen und Partys Orgien körperlicher Nähe hingegeben hatte. Da küssten sich Freund und Feind ab, als wollte man dadurch Gegensätzliches ­nivellieren. Beim Kampf um das Buffet war ­Ganzkörpereinsatz gefragt. Die Bussi-Bussi- und sich vor Seitenblicken erniedrigende Gesellschaft feierte fröhliche Urständ. Mit Wohlstand wurde geprotzt, auch wenn er nicht vorhanden war oder nur durch Schulden vorgetäuscht werden konnte.

Das galt auch bei denen in der Kunst, die aus dem Vollen schöpfen konnten. Bühnenbildner feierten Ausstattungsorgien, und Regisseure ließen ihre Darsteller sich in möglichst nahen körperlichen Begegnungen austoben. Moden wurden zum Selbstzweck, Fantasie war nur selten spürbar. Jetzt scheint es den Künstlern nicht leichtzufallen, die neuen Gegebenheiten zu akzeptieren.

Wahrscheinlich haben die Regisseure vergessen, dass Liebes­szenen nicht unbedingt naturalistisch ­gespielt werden müssen. Tristan war von seiner Isolde in Wieland Wagners Interpretation in „Neubayreuth“ nicht so weit entfernt, wie es ein Babyelefant, sondern eher ein Rhinozeros ausgemacht hätte. Poetisch war das schon durch die wunderbare Lichtregie. Erotik war übrigens früher auch ohne Bereitschaft zu FKK am Theater möglich. Und für Don Giovannis Liebesabenteuer muss – wie einst in Salzburg – kein echter Wald abgeholzt werden, denn der ist in dieser Oper ­ohnehin nicht vorgesehen. Theaterleute haben es in der Pandemie nicht leicht, aber schon lange nicht waren neue Ideen so gefragt wie heute.

Der Autor ist freier Journalist.

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