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Was ist nur los mit Kroatien?

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Vor der Fähre auf eine Insel in Dalmatien wartet eine lange Schlange von Fahrzeugen. Plötzlich kommt von hinten ein Auto, überholt die ganze Kolonne und drängt sich vorn hinein. Als der Fahrer von einem der Wartenden empört zur Bede gestellt wird, dreht er sich seelenruhig um, nimmt eine Maschinenpistole und hält sie dem anderen mit drohendem Grinsen entgegen.

Das kroatische Kennzeicnen VU weist den Bewaffneten für die Einheimischen hinlänglich aus. Er kommt aus Vukovar. Das ist jene Stadt in Slawonien, die am Anfang des Krieges von den Serben nach wochenlanger Belagerung vollkommen zerstört wurde. Jemand aus Vukovar gilt in Kroatien als nationaler Held.

Aber aus den Opfern sind Täter geworden, die aus ihrem Märtyrer-Image Profit schlagen. Die Vuko-var-Banden führen Listen mit Häusern und Wohnungen von Serben, die sie „übernehmen” könnten. So tauchte etwa ein „Vukovarer” in Hvar in der Wohnung eines Serben auf und erklärte, diese gehöre nun ihm. Nur mit Mühe gelang es der kroatischen Frau des Besitzers und dem kroatischen Mieter, der seit Jahren dort wohnt, den Mann loszuwerden.

Von der Polizei oder den Gerichten hatten sie wenig Hilfe zu erwarten. Die Polizei traut sich nicht gegen die Banden vorzugehen, weil sie schlechter bewaffnet ist oder weil sie sogar mit ihnen packelt.

Was ist eigentlich los mit Kroatien? Das fragt sich heute mancher, der den Kampf dieses Landes um Unabhängigkeit mit Sympathie verfolgt hat.

Kroatien möchte gern für einen „westlichen” Staat gehalten und nicht zum „Balkan” gezählt werden. Dafür sprechen auch seine Geschichte und seine geistigen Traditionen. Tatsächlich tut das Land aber wenig, diesen Anspruch zu rechtfertigen und in Politik, Verwaltung und* Wirtschaft wirklich westliche Maßstäbe einzuführen.

In der Wirtschaft herrscht der typisch postkommunistische Bereicherungskapitalismus, von dem die neuen Klassen und die alten Seilschaften profitieren, und an dem auch der Präsidenten-Clan eifrig mitnascht.

Bis heute gibt es keine Privatisierung, die diesen Namen verdienen würde. Das hat etwa zur Folge, daß viele der großen Hotelkästen an der adriatischen Küste geschlossen und zu Spekulationsobjekten verkommen sind. Private können wegen der herrschenden Bechtsunsicher-heit nicht investieren. Eine Grundbuchseintragung dauert Jahre. Damit schädigt Kroatien genau jenen Wirtschaftszweig, der angesichts der desolaten Industrie als einziger eine Zukunftschance hat.

Deshalb verläuft die Grenze zwischen dem Westen und dem Balkan immer noch dort, wo die Kroaten sie nicht haben wollen, nämlich nördlich von ihrem Land.

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