Wetterverhältnisse

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Daniel Wisser über das Wetter und die Literatur.

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Daniel Wisser über das Wetter und die Literatur.

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Wetterberichte haben in der Literatur einen hohen Stellenwert. Eine große Mehrheit aller zeitgenössischen Krimis beginnt mit einer Beschreibung des Wetters. Aber auch die Weltliteratur hat ihre Belcredis und Wadsaks. Zum Beispiel Adalbert Stifter, der als einziger Autor den Wiener Wind präzise darstellte. Oder man denke an den Anfang von Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“, in dem ein langer Wetterbericht in einem abschließenden Satz kulminiert oder wohl eher implodiert: „Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913.“

Ich habe mich in meinen Büchern auf die Suche nach Schilderungen eines verpatzten Frühlings gemacht. Denn es gibt ja nicht nur den meteorologischen und den kalendarischen Frühlingsbeginn und den kalendarischen Frühlingsbeginn, sondern auch den psychosomatischen Frühlingsbeginn. Letzterer hat dieses Jahr bei mir aufgrund der miserablen Wetterverhältnisse noch nicht stattgefunden. Nun kann ich noch die Eisheiligen abwarten. Danach bleibt nur noch mehr als ein Monat vom Frühling und wenn es nicht wärmer wird, muss man es dann wohl offen aussprechen: Das ist ein .……………-Frühling! Nicht nur, dass man sich in Zeiten wie diesen nach Klimaveränderungen aller Arten sehnt; nun wird auch noch den Dichtern die für sie wichtigste Jahreszeit entrissen. Später werden Wissenschaftler mühevoll feststellen, dass es im Frühjahr 2023 eine deutlichen Zäsur in der Literatur gibt. Die Texte, die dieses Frühjahr geschrieben wurden, wird man einfach erkennen können. Der deutsche Dichter Ror Wolf hat schon vor Jahrzehnten einen Vierzeiler mit dem Titel „Wetterverhältnisse“ geschrieben, der immer passt:

es schneit, dann fällt der regen nieder,
dann schneit es, regnet es und schneit,
dann regnet es die ganze zeit, es regnet,
und dann schneit es wieder.

Der Autor ist Schriftsteller.

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