Wien – eine Stadt stellt sich vor

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Das waren noch Zeiten, als die Wiener Stadtregierung die Geschichte ihrer Stadt stolz präsentierte und an geschichtsträchtigen Häusern und Sehenswürdigkeiten rund zweihundert (!) Tafeln mit vier Fähnchen anbringen ließ, auf denen in kurzen Texten das Bemerkenswerte des Gebäudes oder der einst darin wohnenden Person zusammengefasst wurde. Diese Freiluftausstellung war eine der erfolgreichsten Initiativen der Wiener Festwochen 1956, die Jahr für Jahr verlängert wurde, um schließlich der Gleichgültigkeit des zunehmenden Wohlstandes geopfert zu werden.

Damals konnte man noch damit leben, dass der initiativste Planer der künftigen Großstadt Wien, Bürgermeister Dr. Karl Lueger, ein Populist war, der mit dem sich zur Jahrhundertwende ausbreitenden, widerwärtigen Antisemitismus auf Wählerfang ging. Heutige Gutmenschen glauben allen Ernstes, Vergangenheit durch das Schänden und Stürzen von Denkmälern bewältigen zu können. Aufklärung und Information werden in Zeiten von Verschwörungstheorien und nebuloser Geschichtsdeutungen immer wichtiger. Wer weiß, was da noch auf uns zukommt? Als Nächstes könnte der mit dem Anschluss an Nazideutschland sympathisierende Kanzler Dr. Karl Renner seinen „Ring“, der Antisemit Karl Marx seinen „Hof“, das ­Dirigentengenie und NS-Parteimitglied Herbert von ­Karajan seinen „Platz“ einbüßen.

Würde es nicht viel mehr der Aufklärung dienen, wenn man die Tradition einer „Stadt, die sich vorstellt“, neu belebt? Ausführlicher und historisch genauer als damals sollte man diese durchaus wichtige Einrichtung wieder einführen und dabei auch die digitalen Möglichkeiten nutzen. Wien braucht weder sich noch seine – so manche befremdenden – Schattenseiten zu verstecken. Wir müssen wieder lernen, mit Widersprüchen umzugehen. Wien, eine Stadt sollte sich in diesem Sinn wieder vorstellen!

Der Autor ist freier Journalist.

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