Zeichenstunde

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Lydia Mischkulnig über ideologisch geprägte Farb-Konnotationen.

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Lydia Mischkulnig über ideologisch geprägte Farb-Konnotationen.

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Die Blechbox ist silbrig. Farbstifte liegen unberührt in den Mulden der Einlage. Spitzen stecken zum Schutz vor Bruch im Schaumgummi. Welche Pracht der Stimmigkeit im Verlauf der Farben! Ein Glücksgefühl durchzieht die Zeichnerin, dann der Zwang, in diese Ordnung eingreifen zu müssen. Die erste Berührung wird welche Spitze nach unten drücken, um den Stift hinten hochzuwippen und ihn packen zu können? Wofür soll er eingesetzt werden? Mit welchem Druck? Nur das weiße Papier liegt fertig da.

Zum Beispiel für das menschliche Gesicht. Rosa war einmal eine Farbe für Buben, sie kündigte Manneskraft an, die später zu Rot reifte. James Joyce besaß eine rosa Teetasse. Moustache-Cup. Sie erlaubte dem Teetrinker der vorletzten Jahrhundertwende den Schnurrbart auf dem rosa Porzellansteg abzulegen, der über die Öffnung der Tasse führte, und vor der Benetzung zu schützen. Der erste Weltkrieg verpatzte die Farbe Rosa, die Vorstufe zu Rot, Kraft und Lebenssaft ausstrahlend, mit einem Zug ins Negative, ins Schlacht-Rot. Blau trat an seine Stelle, als Farbe für das Männliche, was nun zur Vaterlandstreue des Soldaten passte. Rosa verschwand nicht aus der Palette des Sexus der Farben. Es wurde nun weiblich verstanden. Weich, zart, kuschelig, die Frau verweichlichend. Die Schwulen haben das Rosa, das die Nazis zu ihrer Stigmatisierung benützten, diesen entrissen und wieder für sich in eine Zugehörigkeit der Lebenskraft umgewertet. In der Box steckt die Fleischfarbe, steht für Haut, ein kolonialistischer Ton, Platzhalter, mit IG-Farben-Konnotation.

Rosa soll der erste Stift sein, und die Kuppe drückt die Spitze. Auf dem Papier sieht es blass aus. Nun wird konturiert. Das Blech ist leer, jede Farbe verwendet, bis zum Holz abgeflacht. Das Gesicht mit der Identität einer dynamischen Position in pointilistischer Auflösung zugespitzt? Tja, das ist die Sehnsucht nach einer sicheren Spur.

Die Autorin ist Schriftstellerin.

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