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Fehlendes G'spür ist keine Stärke

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Kaum erholt vom „Kaspanaze"-Schock, laufen die Parteien Gefahr, in den alten Trott zu verfallen. Die Jungen müssen verstärkt eine Änderung der Politik verlangen.

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Kaum erholt vom „Kaspanaze"-Schock, laufen die Parteien Gefahr, in den alten Trott zu verfallen. Die Jungen müssen verstärkt eine Änderung der Politik verlangen.

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Der Aufschrei vieler Spitzenpolitiker der drei „alten" Parlamentsparteien nach den Vorarlberger Landtagswahlen hat gezeigt, wie verunsichert und starr sie in ihrem Denken bereits geworden sind. Es fällt ihnen anscheinend schwer, sich damit anzufreunden, daß auch in Österreich nach nahezu 40 Jahren der Ruhe eine neue politische Kraft im Entstehen ist.

Nichts wäre fataler als ein voreiliges Ignorieren dieser neuen politischen Gruppe. Grüne und Alternative sind vom Stör- zum Machtfaktor geworden. Davon haben künftige politische Überlegungen auszugehen.

Diese Entwicklung ist auch als ein Zeichen der Stärke unserer westlichen Demokratie zu sehen. Wenn „alte" Parteien durch Skandale und Privilegien ihrer Funktionäre von sich reden machen, dann haben „neue" eine Chance.

Zu lange konnten die Großparteien ungestraft wichtige Themen unerledigt beiseite schieben, zu lange gab es am Wahl-(Zahl-)tag keine Alternative für die kritischen Wähler.

Es bestand für die „alten" Parteien keine politische Notwendigkeit, auf die kritischen Teile der Partei — und hier vor allem auf die Jugend — wirklich einzugehen. Die Gefahr, sie an eine andere Partei zu verlieren, gab es nicht.

Immer mehr junge, politisch engagierte Leute fühlten sich Ende der siebziger Jahre ausgegrenzt durch den herrschenden Pragmatismus, die „Politik der Sachzwänge", die Fortschreibung der uneingeschränkten Wachstumsphilosophie und das mangelnde Gespür für Umwelt- und Privilegienfragen.

Als Folge davon emigrierte die Sozialistische Jugend (SJ) innerhalb der Partei. Sie wurde zu einer linken Sekte, der eine breite Basis fehlt. Im politischen Alltag konnte sie sich in Wirklichkeit nie durchsetzen.

Anders die Junge ÖVP (JVP), die sich in den siebziger Jahren in ihren Aussagen immer mehr der Mutterpartei anpaßte. Innere Absetzbewegungen waren aber auch bei ihren Mitarbeitern nicht zu leugnen. Sie ersparte sich selbst und der Mutterpartei zwar Schwierigkeiten, verlor aber Hand in Hand die Attraktivität für das kritische Potential der Jugend.

SJ und JVP boten also vielen keine Heimat, die sich politisch organisieren wollten. Das Aufkommen grün-alternativer Gruppen war eine logische Konsequenz.

Jetzt in der Mitte der achtziger Jahre beginnt sich die Situation grundlegend zu ändern. Neben den „alten" Sozialpartnern und Parteien ist in- und außerhalb der Parteien eine neue Vertretung, nämlich die der Natur und des Gefühls, im Wachsen begriffen.

Zwentendorf ist in diesem Zusammenhang gesehen ein „Zeitwendendorf" und zugleich Vorbote dieser neuen Politik. Ein Plebiszit — nicht die „alten" Parteien — kündigte die Wende an.

Heute — sechs Jahre danach — tritt die Junge ÖVP gemeinsam mit der Frauenbewegung entschieden für die Rettung der Natur und somit für die Rettung der Donauauen von Hainburg ein. Frauen und Jugend, verschwindende Spurenelemente in den politischen Machtapparaten, spüren entscheidende Umbrüche.

Dabei ist keine Grundsatzprogrammdiskussion vonnöten, sondern ein Verstehen von Veränderungen gesellschaftlicher Mentalitäten. Die ÖVP müßte sich aufgrund ihres Programms viel leichter mit den neuen Strömungen tun als SPÖ und FPÖ.

Familie, Geborgenheit, ein umfassendes Ja zum Leben (auch zum ungeborenen), gelebte Solidarität, Umweltschutz, die Stärkung kleiner Einheiten, Bürgermitbeteiligung: diese Programmpunkte weisen in die Zukunft.

Frauen und Jugend müssen die Partei mehr als bisher zwingen, sie auch in der Praxis umzusetzen, dann werden sie und mit ihnen die Partei für die Gruppen wieder interessant, die sie zunehmend verloren haben.

Die Stärke der „alten" Parteien und vor allem der ÖVP, liegt in der Wirtschaftspolitik. Gelingt es, die Arbeitslosigkeit halbwegs niedrig zu halten und von einer reinen Wachstumswirtschaft auf eine Ökowirtschaft umzustellen, werden sich die Grünen und Alternativen, die zwar die Sympathie eines nicht unbeträchtlichen Teiles der Jugend haben, in den nächsten Jahren als drittstärkste Partei einpendeln.

Trotz der zuletzt genannten Vorbehalte zwingt eine vierte Kraft die drei „alten" Parteien zu verstärktem Nachdenken und Einsatz. Fragen der Gerechtigkeit, des Umweltschutzes, der Menschlichkeit und nicht zuletzt des Selbstverständnisses von Politikern gewinnen mehr an Raum.

Nicht- und Protestwähler haben den „alten" Parteien zwar weh getan, die Schmerzgrenze ist aber erst mit dem Entstehen und dem Einziehen von grün-alternativen Gruppen in Gemeinderäte und Landtage erreicht worden.

Jetzt müssen sich die „alten" Parteien gehörig anstrengen, wollen sie weiterhin auf allen politischen Ebenen wie auch bei der Jugend eine breite Zustimmung finden. Erkennen sie die Zeichen der Zeit nicht, werden sie mit umso mehr Erstaunen die nächsten Wahlergebnisse zur Kenntnis nehmen müssen.

Und das ist gut so: für die „alten" Parteien, für die Anliegen der Jugend und für unser demokratisches System.

Der Autor ist Landesobmann der Jungen ÖVP Steiermark.

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